Grim - Das Erbe des Lichts
Boden, sie lächelte noch immer, doch jetzt war noch etwas in ihrem Blick — ein Ausdruck gehetzter Anspannung. Sie streckte die Hand nach Morrígan aus und bewegte sie langsam auf sich selbst zu, als wollte sie die Urfee durch diese Bewegung in ihr Herz ziehen. Grim spürte das Schlachtgewühl um sich herum kaum noch. Atemlos starrte er in Richtung der Königin — und sah, wie Morrígan sich in eine Krähe verwandelte und mit schwarzer Gier in den Augen in die Brust der Schneekönigin stob.
Die Königin taumelte rückwärts wie von einem Pfeil getroffen. Schwarze Risse zogen über ihre Brust und bedeckten in rasender Geschwindigkeit ihren gesamten Körper. Schwer atmend griff sie nach dem Schwert Kirgans, während sie wie gegen ihren Willen durch die erlöschenden Bannkreise einen Schritt auf die Kinder zutat. Ängstlich kauerten sie sich in den Tanks zusammen. Grim sah, wie sich schwarze Klauen aus den Händen der Königin schoben und wie von Sinnen durch die Luft schlugen. Da riss die Königin die Hände zurück, Grim sah die Flammen, die von Kirgans Schwert über den Körper der Königin liefen. Ein Lachen drang aus ihrer Kehle, eiskalt und klar, und die schwarzen Risse versanken im Weiß ihrer Haut. Ein letztes Keuchen entwich ihrem Mund. Sie hatte Morrígan bezwungen, hatte sie eingeschlossen in ihrem Körper aus Eis.
Langsam trat sie auf die Kinder zu und streckte die Hände nach ihnen aus. Grim spürte, wie ihm das Blut aus dem Kopf wich. Die Königin würde Morrígans Gier stillen — sie würde die Kinder töten, wenn niemand sie daran hinderte. Schnell packte er Carven am Arm und stürzte sich vor. Er sah Theryon und Folpur neben sich wie durch eine Wand aus Nebel, schon waren auch die anderen Zwerge des Barons wieder an ihrer Seite. Gemeinsam stürzten sie sich auf die letzten Reihen der Alben. Grim spürte die Zauber, die er ihnen entgegenschleuderte, wie gleißendes Feuer in seinen Klauen, doch er wandte den Blick nicht von der Königin ab. Niemals würde er zulassen, dass diese Kinder Morrígan geopfert würden — niemals.
Da erreichten sie die Treppe des Tempels. Grim raste neben Carven und Theryon die Stufen hinauf, schon sah er die Gestalt der Königin über sich. Er schaute ihr ins Gesicht, es war nur ein winziger Augenblick, das wusste er, und doch erschien ihm dieser Moment wie ein ganzes Leben. In ihrem Blick lag keine Befriedigung, keine Genugtuung — nur Kälte und Dunkelheit. Dann lächelte sie, es war ein Lächeln voller Grausamkeit. Mit einem Ruck riss sie die Arme empor und brüllte: »Yhgèndor!«
Der Donner, der diesem Zauber folgte, war so heftig, dass er Grim ebenso wie Theryon und Carven die Treppe hinabschleuderte. Er spürte die Magie, die ihm als ein Strom aus Licht und Farben entgegenschoss. Es war Feenmagie, die in die Stadt eindrang und sie so rasch wachsen ließ, dass Grim das Ächzen der Gebäude in seinen Fingern fühlte.
Für einen Moment glaubte er, er wäre taub geworden. Ein schrilles Piepen kreischte in seinen Ohren, als er auf die Beine kam. Er sah Carven und Theryon neben sich, die mit schreckgeweiteten Augen zum Tempel aufsahen. Grim folgte ihrem Blick — doch da war kein Tempel mehr. Ein Riss klaffte in der Mitte der Stadt, nein, viel mehr war es als ein Riss. Es sah aus, als wäre die Tempelstadt nichts als ein Gemälde, an das jemand von der anderen Seite eine Kerze gehalten hatte, deren Flamme Stück für Stück das Bild verzehrte. Die Grenze zwischen den Welten war gefallen. Schon klaffte ein gewaltiges Loch an der Stelle, an der gerade noch der Tempel gestanden hatte — und hindurch strömte eine Armee aus Feen.
Die Gestalt der Schneekönigin verschwand hinter Körpern in silbernen Rüstungen, doch Grim wusste, dass sie sich in diesem Moment auf die Kinder stürzte, um sie Morrígans Gier zu opfern. Sie mussten sie erreichen, und wenn sie tausendmal von einer Wand aus Feen von ihnen getrennt war. Er spürte Carvens Blick, der Junge nickte, als hätte Grim ihm eine Frage gestellt. Im selben Moment stieß Carven seine Faust vor und schickte Zwergenmagie aus seinen Fingern. Krachend schlug sie direkt vor der ersten Reihe der Feen ein und formte sich in rasender Geschwindigkeit zu einem gewaltigen Drachen. Farbige Nebelfäden bildeten seinen Körper, seine Augen waren blau und kristallklar, und die Schwingen, die sich glitzernd wie juwelenbesetzte Schmetterlingsflügel durch die Luft bewegten, ließen Regen aus Sternenstaub auf das Schlachtfeld
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