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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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sich die Brust hielt. Atemlos lauschte sie dem Geräusch, das auf einmal in dem Tempel widerklang — das unsichere, kraftvolle Schlagen eines Herzens. Mia hob die Hand vor den Mund. Jakob hatte Alvarhas' Herz zurück in seinen Körper gesandt — und Alvarhas schaute sie an, als würde dieses Herz ihn auseinanderreißen.
    Die Kette mit dem Zauber klirrte in seiner Hand. Er würde sie ihr niemals freiwillig überlassen, das wusste sie. Kalt legte sich die Stille der Entscheidung auf ihre Schultern, die sie bei einem Blick in seine Augen traf. Blitzschnell griff sie nach einer Zacke des zerbrochenen Sterns, wirbelte herum und rammte sie Alvarhas direkt in sein Herz.
    Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Alvarhas schaute auf den Dorn in seiner Brust, erstaunt wie ein Kind beim Anblick des ersten Schnees. Dann hob er den Kopf und sah sie an. Es war ein Blick aus tiefer Finsternis. Flammen entfachten sich in seinem gesunden Auge, sie sah, wie ein Licht in seinem Herzen loderte, sich in sein Innerstes ergoss, ihn auffraß wie eine faulende Frucht. Das Feuer griff nach ihr, es zog sie in Alvarhas' Inneres, ohne dass sie widerstand. Entschlossen kämpfte sie mit den Flammen aus gleißendem Licht, die Alvarhas verbrannten, bis sie ein Kind sah — ein weinendes Kind neben einem Toten. Es war ein Junge von vielleicht fünf Jahren, sein Haar war schwarz, und er lag auf der Brust des Toten, als wollte er ihn mit seinen Tränen wieder zum Leben erwecken. Der Tote trug ein einfaches Leinengewand, und er lächelte starr, doch Mia achtete kaum darauf. Sie fixierte den Jungen, sie zwang ihn, den Kopf zu heben — und schaute Alvarhas' in die gesunden Augen.
    Im nächsten Moment spürte sie einen Schlag vor die Brust und fand sich im Tempel wieder. Alvarhas stand vor ihr, zu Asche verbrannt, und schaute sie mit seinem toten Auge an.
    Du weißt nicht, gegen wen du gekämpft hast,
hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf.
Doch eines Tages wirst du es erfahren ... Kind des Sturms ...
    Mit dem letzten Wort zerstob sein Körper, und seine Asche legte sich vor die Füße Ayons, Göttin der Hoffnung in einem Zeitalter der Furcht.
    Mia griff nach der Kette, die zu Boden gefallen war. Ihre Lippen zitterten, als sie den Bannzauber sprach, und sie hörte die Schreie der Alben wie die Rufe der Verdammten zu sich herüberklingen. Sturmwind fegte draußen vor dem Tempel vorüber, als die Alben in das Nichts zurückgerissen wurden, aus dem sie gekommen waren, und Mia hätte gern mitangesehen, wie der Zauber die Welt der Menschen von ihnen befreite, wie die Risse des Himmels sich schlossen und die Welt ihr Gleichgewicht zurückerlangte. Doch noch ehe der letzte Alb verschwunden war, entglitt die Kette ihren Fingern. Ihre Magie war beinahe verbraucht. Sie musste sich beeilen, ehe ihre Kräfte sie vollkommen im Stich lassen würden. Lautlos kam der Zauber über ihre Lippen, der das Portal in die Zwischenwelt öffnete. Mia spürte ihr Herz im ganzen Körper. Eines wusste sie: Nur auf den Armen eines Zwischenweltlers konnte ein Sterblicher diese Welt durchqueren — oder durch den Verlust seines Lebens. Mia holte tief Atem. Irgendwo in dieser verfluchten Welt des Nichts war ihr Bruder, und sie würde ihn nicht sterben lassen. Niemals.
    Entschlossen tat sie den ersten Schritt und wurde von den Nebeln umflossen. Sie hörte fremdartige Stimmen, die sie zu sich lockten, und spürte die tastenden Zungen des Nebels über ihre Haut gleiten.
    Gestalten tauchten im Zwielicht der Zwischenwelt auf und kamen auf sie zu. Schnell schloss Mia die Augen. Sie wollte sie nicht sehen, wollte nicht in Versuchung geführt werden von dem, was in dieser Welt auf sie wartete. Sie würde Jakob finden, und mit ihm würde sie diese Welt wieder verlassen. Schritt für Schritt ging sie in den Nebel hinein, fühlte die Hände und Klauen, die über ihre Wangen strichen, und beschwor Jakobs Stimme herauf, um die Laute um sich herum zu übertönen. Und da, flüsternd und leise, hörte sie seine Gedanken. Nur ein Wort war es, das durch die Nebel klang, ein Name —
ihr
Name, der wie ein Licht in ihr und zugleich außerhalb ihrer selbst auftauchte, als würde die Sonne hinter ihren geschlossenen Lidern stehen. Atemlos betrachtete sie das Licht in ihrem Inneren und ging gleichzeitig darauf zu, die Hände tastend vor sich gestreckt, und berührte endlich Jakobs Gesicht.
    Erschrocken fuhr er zurück, und als sie die Augen öffnete, sah sie den Zorn in seinem Blick. Er hatte sie

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