Grim - Das Erbe des Lichts
schon etwas herausgefunden hatten? Mia wandte sich zu Lyskian um. Der Vampir bewegte sich unter den Menschen wie ein Fürst inmitten des gemeinen Pöbels. Erhabenheit und Anmut umgaben ihn wie eine gläserne Wand, und die Menschen schienen das zu spüren — immer wieder schauten sie neugierig und bewundernd zu ihm hinüber. Aber in ihren Augen lag kein Anflug von Erkenntnis, und während Lyskian mit dieser Tatsache spielte, sie scheinbar sogar genoss, spürte Mia ein Gefühl wie Enttäuschung in ihrer Brust, als sie die Menschen und den Vampir beobachtete.
Seufzend wandte sie sich ab und ging auf die größte Vitrine zu, jenen Glaskasten, der von so vielen magischen Netzen umgeben war, dass Mia sie flirren hören konnte. Die Menschen hielten dieses Geräusch vermutlich für eine durchbrennende Glühbirne, und ihnen wäre nie aufgefallen, dass sich in diesem Raum gar keine Glühbirnen befanden. Sie trat hinter die vorderste Reihe der Gäste, die sich dicht gedrängt um die Vitrine versammelt hatten. Leise murmelnd betrachteten sie das Zepter der Yartholdo, und Mia überkam ein Glücksgefühl, als sie die faszinierten und staunenden Stimmen der Menschen hörte. Erneut wünschte sie sich, diesen Augenblick mit Jakob teilen zu können. Sie betrachtete die kunstvollen Verzierungen des Zepters, sah, wie die Lichter des Artefakts über die Gesichter der Menschen flackerten, jener Menschen, die auf der anderen Seite der Vitrine standen — und erstarrte.
Sie spürte, dass sie nicht mehr atmete, aber ihr Körper reagierte nicht auf ihren Befehl, Luft zu holen. Wie gelähmt stand sie da und starrte durch den Schaukasten auf denjenigen, der ihr gegenüberstand. Reglos sah er sie an, mit tiefen, dunklen Augen und wirrem blonden Haar und mit einem Schatten im Blick, der ihr die Kehle zudrückte.
Jakob,
flüsterte sie in Gedanken.
Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, und für einen Moment verschwand der Schatten aus seinen Augen. Nur Traurigkeit lag noch darin und eine haltlose, schreiende Verzweiflung. Im nächsten Augenblick kehrte der Schatten zurück. Jakobs Gesicht wurde hart — und dann ging alles ganz schnell. Mia sah, wie Jakob die Hand hob, wie er die Faust mit einem Flammenzauber überzog und die Menschen erschrocken vor ihm zurückwichen. Sie hörte sich schreien, spürte, wie die Schattenflügler aus ihrer Starre erwachten und Lyskian seine Kälte lähmend durch den Raum schickte. Dann stieß Jakob die Faust vor, und der Glaskasten zersprang in tausend Scherben.
Mia fiel auf die Knie, die Splitter blieben in ihren Haaren hängen. Sie sah die Lichtportale, die auf einmal zwischen den Glaskästen erschienen, und die Feen in voller Rüstung, die aus ihnen in den Raum traten. Jetzt huschten Alben vorüber, Mia hörte das kalte, durchdringende Lachen von Alvarhas. Die Schreie der Menschen erfüllten die Luft, als die Feen ihre Fäuste vorstreckten und die magischen Netze um das Zepter zerrissen. Fauchend wie Peitschen aus Feuer zischten sie durch den Raum und rissen drei Menschen von den Füßen. Die Schattenflügler stürzten sich auf die Alben und Feen, Mia fühlte, wie Lyskian sie von der Vitrine fortzog. Sein Körper war kälter als Eis. Sie begann zu zittern, doch sie spürte es kaum.
Sie sah Jakob über Lyskians Schulter hinweg, sah ihren Bruder, der die flammende Hand hob und das Zepter der Menschen ergriff. Einen Lidschlag lang schien die Zeit stillzustehen. Mia spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, denn jetzt trat der Schatten aus Jakobs Blick heraus, sie sah eine Gestalt in Weiß hinter ihrem Bruder auftauchen — es war die Schneekönigin.
Jakobs Augen verdrehten sich nach oben, lautlos brach er zusammen. Mia schrie auf, als die Königin das Zepter über ihren Kopf hob. Sie öffnete den Mund, um einen Zauber zu sprechen. Doch da zerriss ein Tosen die Luft, so gewaltig und dröhnend, dass es in Mias Innerem widerhallte. In Lyskians Armen fuhr sie herum und sah, wie mehrere Gestalten durch die gläserne Pyramide in die Eingangshalle sprangen. Sie sah Mourier, Kronk — und Grim in Begleitung der besten Krieger der Anderwelt, die in rasender Geschwindigkeit auf sie zustoben. Lyskian riss Mia zur Seite, sie landete halb auf seiner Brust und sah gerade noch, wie Grim sich der Königin entgegenstürzte.
Dann begann der Kampf.
Kapitel 15
rim sprang über zwei Vitrinen, der steinerne Boden splitterte unter seinen Füßen, als er in der Menge landete, doch er verlor keine Zeit. Mit
Weitere Kostenlose Bücher