Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
Apropos Noonan's - was hältst du davon, Rieh?«
Jury hatte eigentlich keine große Lust, doch es wäre vermutlich die unkomplizierteste Art, hier den Abgang zu machen. »Danke, ich hätte nichts gegen ein Bier.«
Brendan vollführte ein schwungvolles Tänzchen - er war der waschechteste Ire, der Jury je begegnet war - und rieb sich genüsslich die Hände.
»Na, dann los.«
Jury warf Sarah einen auffordernden Blick zu, obwohl er wusste, dass sie die Einladung nicht annehmen würde.
»Wieso kann sie mich eigentlich nicht leiden?«, wollte Jury von Brendan wissen, als sie im Noonan's, einem furchtbar lauten Pub, an der Theke standen. Hier gab es natürlich auch einige Männer, die Jobs hatten, denen das Jobcenter tatsächlich eine Anstellung verschafft hatte. Ihnen bot das Pub die Möglichkeit, der Langeweile ihrer Arbeit zu entfliehen, so wie es für die anderen eine Möglichkeit bot, der Langeweile ihres Nichtarbeitens zu entfliehen.
Brendan hob sein Glas. »Teufel aber auch, Mann, die kann dich eigentlich schon ganz gut leiden, jedenfalls wenn du nicht da bist.« Er wischte sich mit dem Taschentuch über die Nase. »Vor Freunden gibt sie immer an mit dir.« In säuselndem Tonfall fuhr er fort: »Ein Detective Superintendent ist er, o ja, und noch dazu bei Scotland Yard.«
Jury lächelte. »Wir haben über unsere Kindheit gesprochen. Anscheinend waren meine Erinnerungen alle falsch.«
Brendan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mann, sie wollte dich nerven, sie hat dich verarscht. Macht sie bei mir auch und bei den Kindern. Nimm's dir nicht zu Herzen.«
Jury trank sein Bier und ließ den Nachmittag noch einmal Revue passieren. Er grübelte. Und klopfte auf die Manteltasche, in der die beiden Aufnahmen steckten.
Als Jury die Treppe des Reihenhauses in Islington hinaufging, kam Mrs. Wasserman, die die so genannte Gartenwohnung bewohnte, so schnell sie konnte die Steintreppe vor ihrer Tür herauf. Jury war Mrs. Wasserman im Lauf der Jahre bei der »Sicherheit« behilflich gewesen und hatte Schlösser eingebaut, Fenster und andere Einstiegsmöglichkeiten inspiziert und auch sonst einiges unternommen, damit sie sich sicherer fühlte. Sie war als junges Mädchen im Konzentrationslager gewesen, wo sie mit eigenen Augen hatte zusehen müssen, wie ihre Familie umgekommen war, einer nach dem anderen. Und noch Schlimmeres.
»Mrs. Wasserman«, sagte Jury und ging die Treppe wieder hinunter, »stimmt etwas nicht? So spät sind Sie doch sonst nicht auf.«
Sie raffte ihren Bademantel am Hals fester zusammen.
»Nein, nein, ich bin oft bis in den Morgen auf. Kann doch so schwer einschlafen. Könnten Sie vielleicht einen Augenblick hereinkommen, Mr. Jury? Nur eine Minute, ich halte Sie bestimmt nicht auf.«
Jury lächelte. »Ich kann auch mehr als eine Minute bleiben.« Er ging hinter ihr her die Treppe hinunter in ihre Wohnung. Die war behaglich eingerichtet mit bequemen alten Lehnsesseln und einem chintzbezogenen Sofa. Dazu ein Kommodensekretär und einige Hocker und Beistelltischchen.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Whisky? Kaffee? Yogi-Tee?«
»Was?«
»Carol-Anne hat mir welchen mitgebracht. Sie behauptet, er ist viel gesünder als andere Getränke. Es ist eine Art Mischung aus Tee und Gewürzen.«
»In Gesundheitsfragen würde ich mich nicht auf Carol-Anne verlassen, die Königin der fetten Frühstückswürstchen, die sie in die Pfanne haut.«
»Nun, sie hat mir gesagt, den soll ich eine Woche lang trinken und ihr sagen, ob ich mich besser fühle. Er soll anscheinend Wunder wirken, aber der Geschmack, Mr. Jury - entsetzlich!«
»Da haben Sie Schwester Carol-Annes Motiv! Sie will, dass Sie ihn ausprobieren, damit sie es nicht selber tun muss. Eine Tasse schlichter, schwarzer englischer Tee wäre mir sehr recht.«
Sie ging aus dem Wohnzimmer. Jury sah ein paar alte Fotoalben auf dem Beistelltischchen liegen, eines davon war aufgeschlagen. Mit einem Seufzen ließ er sich auf dem Sofa nieder. Fotos, wieder alte Fotos.
Mrs. Wasserman kehrte mit dem Tee in zwei Henkelbechern zurück, und Jury konnte sich schon denken, dass er süßer war, als er ihn gern hatte; er würde ihn aber trotzdem trinken. Als sie sah, wie Jury die Seiten des Fotoalbums umblätterte, sagte sie: »Wenn ich die anschaue, fühle ich mich so... hm... «
Jury wartete ab, dass sie weitersprach. Als sie es nicht tat, fragte er: »Ist das Ihre Familie, Mrs. Wasserman?« Er konnte sich schon denken, dass sie es war, und stellte etwas
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