Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
sie wollte mich bloß ärgern. Sie kann mich nicht besonders leiden.« »Ist sie fies?«
»Fies... ist vielleicht ein zu starker Ausdruck.« »Okay, nennen Sie mir einen schwächeren.«
Als der junge Higgins kam, um ihre Teller abzutragen, sagte Jury: »Voller Groll vielleicht, weil sich mein Onkel so viel mit mir abgegeben hat. Er war es auch gewesen, der mich damals aufgenommen hatte. Meine Tante war zwar freundlich zu mir, aber nicht besonders begeistert. Und nachdem er gestorben war, war sie der Ansicht, sie könnte mich nicht mehr dabehalten, weil sie ja drei eigene Kinder hatte. Die zwei anderen sind schon tot.«
Der junge Higgins räusperte sich und sagte: »Ihre Zuckersiruptorte wird sofort serviert. Wünschen Sie den Kaffee im Klubraum einzunehmen?«
Melrose bejahte und starrte Jury entgeistert an, während der junge Higgins abzog. »Sie haben ja alles gewonnen.«
Jury zuckte nur lächelnd mit den Schultern.
Als sie wieder im Klubraum saßen, in denselben Sesseln wie vorher, sagte Jury: »Die Sache ist die, sie hatte Bilder -Schnappschüsse - von mir und diesen anderen Kindern. An die Kinder konnte ich mich auch erinnern. Das war allerdings Jahre später, in Devon. Es waren Pflegekinder, für die diese Frau Pflegegeld bekam -«
»Es waren also gar nicht die evakuierten Kinder, bei denen Sie glaubten, Sie wären dabei gewesen?«
»Nein.«
»Bilder erzählen vielleicht einen Teil der Wahrheit, aber nicht unbedingt die ganze.«
Ein Holzscheit zerbarst und zerfiel funkensprühend. Die Flammen zischten, wurden zu glühenden Kohlen und loderten wieder flammend auf. Er sagte: »Damit scheine ich es in letzter Zeit hauptsächlich zu tun zu haben - mit Bildern. Mit Erinnerungen. Weder das eine noch das andere taugt so recht zur Rekonstruktion der Vergangenheit. Ich habe einen Freund, Chief Inspector bei der City Police, der mir einige Bilder zeigte.«
Er erzählte Melrose von Mickeys Verdacht.
»Wieso ermittelt er in der Sache dann nicht selber? Ich weiß, Sie sind furchtbar gut, aber es ist doch seltsam, Scotland Yard da hineinzuziehen.«
»Stimmt. Wir sind alte Freunde, wir kennen uns schon sehr lange.«
»Trotzdem -«
»Er wird bald sterben.«
»Oh, das tut mir Leid.«
»Sein Vater war Stammgast im Blue Last. Er kannte Francis Croft, den Besitzer, ziemlich gut. Oliver Tynedale und Francis Croft waren wie Brüder. Beeindruckend, dass sie so eng und so lange miteinander befreundet blieben und auch geschäftlich verbunden waren.«
»Ich kann mir nichts vorstellen, was eine Freundschaft schneller kaputt machen könnte als eine geschäftliche Beziehung. Wer hatte das Heft in der Hand?«
»Tynedale, nehme ich an. Das Geschäft teilte sich in Öffentlichkeitsarbeit und Finanzberatung auf. Ich kann mir vorstellen, dass die Übergänge fließend waren.«
»Als Francis Croft starb, wurde sein persönliches Vermögen also unter seinen Kindern aufgeteilt?«
»Eigentlich nicht. Das ist auch ungewöhnlich. Ein Teil davon ging an Tynedales Kinder über, so wie ein Teil von Tynedales einmal an Crofts Kinder übergehen wird. Sie sind tatsächlich eine einzige große Familie.«
»Hört sich an, als würden die Dinge dadurch komplizierter.«
»Ja.« Versonnen blickte Jury über den Rand seines Cognacschwenkers ins Feuer.
»Nehmen wir einmal an, im Gegensatz zu seinem Vater war Simon Croft ein krummer Hund. Nehmen wir an, er veruntreute Gelder, ein Großaktionär kam ihm auf die Schliche und -« Melrose deutete mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole an. »Was Sie allerdings nicht glauben, stimmt's?«
»Es ist eher so, dass Mickey es nicht glaubt.«
»Er ist davon überzeugt, es war ein Mitglied der Familie.«
Jury antwortete ausweichend. »Es ist so, Tynedale ist sehr krank. Ihn umzubringen wäre für einen seiner Erben... nun, überflüssig. Seine Enkelin Maisie wird höchstwahrscheinlich den Löwenanteil bekommen. Danach würde das Vermögen -nicht unbedingt gleichmäßig - unter den restlichen Tynedale-und Croft-Kindern Ian, Simon und Marie-France aufgeteilt -ach, und nicht zu vergessen Simons Schwester Emily. Sie lebt in einem von diesen Heimen für betreutes Wohnen in Brighton.«
»Hmm. Wenn das Motiv ein größerer Anteil am Erbe wäre, wieso sollte der Killer dann Simon Croft auswählen und nicht die Enkelin? Sie sagten doch gerade, sie bekommt sicher einmal mehr als die anderen.«
»Kommt darauf an, wie viel mehr«, erwiderte Jury.
»Könnte es denn nicht genauso gut noch ein anderes Motiv für
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