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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wirklich, daß sie da draußen auf dem Moor war ... oder doch?«
    »Habe ich das behauptet?«
    »Nein, aber angedeutet.«
    Jury schlug den Mantelkragen hoch und lächelte. »Bestellen Sie ihr, daß ich auf sie abfahre.«
    »Den Teufel werde ich.« Melrose drehte sich um und knirschte über den Kies zurück zum Haus.
    Jury ging zur Scheunentür, zog eine Visitenkarte aus der Jacke, faltete sie zweimal der Länge nach und schob sie zwischen Umhüllung und Silberpapier des Kaugummistreifens, den Ellen Taylor ihm gegeben hatte.
    Er ging in die Hocke und schob das Ganze unter der Tür durch.
Dritter Teil - Das Reich der Lichter
    Das hier war früher ein Filmpalast gewesen, ein altes Arthur Rank-Kino, doch Jury sah in diesen mächtigen Gebäuden mit ihren Riesenmarkisen und den übereinandergestaffelten Rängen in seiner Erinnerung lieber prächtige Orte der Zerstreuung, die im Krieg die Samstagnachmittage von einer sonst trostlosen Woche abgehoben hatten. An die Zeit vor dem Krieg erinnerte er sich so gut wie gar nicht. Warum auch? Er war im Krieg aufgewachsen, und der Krieg hatte ihm den Vater genommen, und die Mutter auch.
    Jury tauchte aus einem Labyrinth von Tunneln auf, bei dem ihm die Treppen einfielen, die zu einem Luftschutzraum und einem ganzen Netz von Wegen unter der todbringenden Einflugschneise von Hammersmith geführt hatten. Die Straße sah noch genauso trostlos aus wie zur Nachkriegszeit. Zeitungsfetzen, weggeworfene Blechdosen, eine streunende Katze - alles schien Abfall vom letzten Konzert zu sein, den man aus den Türen des Hammersmith Odeon hinausgefegt hatte, inklusive der struppigen Katze, die sich wie ein Dieb in der Nacht an den Plakaten von Sirocco und drei anderen Bands mit deren Vorgruppen vorbeischlich. Sirocco brauchte keine Vorgruppe. Da war ja auch das Foto von Charles Raine, das er schon auf dem Titelblatt von Time Out gesehen hatte. Die neuen Poster waren einfach über die verblichenen geklebt worden. Das Konzert von gestern war Schnee von gestern.
    In schwarzen Buchstaben, die bestimmt einen halben Meter hoch waren, zog sich SIROCCO quer über die weiße Markise, wo ein junger Mann auf einer sehr langen Leiter eine kleine künstlerische Veränderung vornahm; er kippte nämlich das S leicht und brachte an dessen Ende eine dünne schwarze Linie an. Das sollte vermutlich wie vom Winde verweht wirken.
    Der Mann - nein, eher ein Jugendlicher, so um die neunzehn - kam langsam heruntergeklettert und wischte sich die schmutzigen Hände in einem Tuch ab, das er sich in die Gesäßtasche seiner Jeans gestopft hatte. Dann trat er einen Schritt zurück, um das Werk seiner Hände zu bewundern. Ein anderer Junge, ungefähr in seinem Alter, mit Instrumentenkästen und einem schwarzen Verstärker behängt, hatte die Straße überquert und erkundigte sich anscheinend nach irgend etwas, während er einen der beiden Instrumentenkästen über der Schulter zurechtrückte. Er wischte sich das vom Wind verstrubbelte Haar aus der Stirn, schob die Sonnenbrille zurück auf die Nase und betrat das Odeon durch eine Doppeltür.
    Der Markisen-Künstler trat noch ein wenig weiter zurück, damit er sein Kunstwerk noch besser bewundern konnte, und dabei Jury fast auf die Füße. »Oh, Entschuldigung.« Und als wäre Jury ein Lehrer oder Aufpasser, sagte der Junge: »Hat jetzt doch mehr Klasse, was?«
    Jury lächelte. »Sehr einfallsreich.«
    »Wollen Sie noch Karten haben? Die sind schon seit der ersten Ankündigung ausverkauft. Aber ich geb Ihnen ’nen Tip: Kommen Sie am Freitag, am Tag der Vorstellung, um zehn wieder. Dann ist schon geöffnet, obwohl die zurückgegebenen Karten erst ab zwölf verkauft werden. Mary Lee hält aber immer fünf, sechs zurück, falls mal ’n hohes Tier kommt.« Das Lachen des Jungen pfiff. »Sind auch mal’n paar dagewesen. Das waren, glaube ich, die Gören von so ’nem Herzog. Mary Lee hat sie echt am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Sie hat sich in der Zeit, glaube ich, ’ne neue Dauerwelle machen lassen, während die vor dem Schalter rumlungerten und aussahen, als ob sie ganz nötig müßten. Nach Ihnen.« Damit öffnete er Jury schwungvoll die Tür.
    »Danke. Und danke für den Tip.«
    Der Junge winkte, eilte durch das große Vestibül und sprang die breite Treppe zwei Stufen auf einmal hoch. Jury blickte sich um und malte sich aus, welches Gedränge am nächsten Abend herrschen würde. Noch in dem leeren Vestibül miefte es nach zusammengepferchten Leibern, Schweiß und Bier.

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