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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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würden, statt von Dublin oder Cork die Fähre zu nehmen? Oder von Belfast?« Er lächelte.
    »Haben Sie es etwa auf den Lead-Gitarristen von Sirocco abgesehen?«
    Das Kartenhaus kam ins Wanken. »Erstaunlich, daß Sie je von ihm gehört haben.«
    »Es stand in dem Time Out -Heft, das Sie gemopst haben. Ich habe den Artikel gelesen. Er reist nämlich manchmal allein. Aber Victoria Station, das war doch kaum drin. Wäre es nicht vernünftiger gewesen, Sie wären nach Heath-«
    »Auf Flughäfen gehe ich nicht«, unterbrach sie ihn hastig.
    »Soll das heißen, Sie haben Angst vorm Fliegen?«
    Sie schüttelte ungeduldig die roten Locken, daß sie im Widerschein der sternenbesetzten Decke golden aufschimmerten. »Nein. Ich mag einfach das ganze Drumherum nicht.« Sie stützte die Hände in die Seiten und sagte ärgerlich: »Ist Ihnen da noch nie was aufgefallen? Müßte es aber, als Sie mit Ihrem Maschinengewehr in Heathrow waren, damals, als die Bombe hochging.«
    Es fehlte der rote Faden; was ihr wirklich zusetzte, blieb unklar. »Haben Sie Angst, Sie könnten ins Kreuzfeuer geraten? Übrigens war es kein Maschinengewehr.«
    »Na schön.« Und als ob damit das ganze Geheimnis entschlüsselt wäre, legte sie die letzte Karte an Ort und Stelle. »Nicht draufpusten, wenn Sie es irgendwie vermeiden können.«
    Dann sagte sie düster: »Ist doch so, daß Flughäfen die letzte Haltestelle sind. Menschen trennen sich. Das ist wie der letzte ... Schützengraben. Menschen liegen einander sterbend in den Armen.« Sie starrte ihn durch ihr Kartenhaus an. »Ehe ein paar von ihnen ins Feuer geschickt werden.«
    Woher nimmt sie jetzt diese Kriegsmetaphern, dachte Jury. Das kam vielleicht von ihren Unterhaltungen mit Mrs. Wassermann, die in Polen während des Krieges, den sie den Großen Krieg nannte (und den Jury auch erlebt hatte), Furchtbares hatte mitmachen müssen, nur daß Mrs. Wassermann Carole-Anne nie davon erzählen würde. Es war einfach zu schrecklich gewesen.
    Jury sagte nichts. Ihm fielen die ganzen irren Geschichten ein (er genoß sie insgeheim), die Carole-Anne erzählte, um ihren sichtlichen Mangel an Familie zu erklären. Daß man sie in einem Überseekoffer in Victoria Station gefunden hätte; daß man sie in einem Zug chloroformiert hätte - alles aus Geschichten, die sie gelesen oder gehört hatte. Abgesehen von der Geschichte ihrer Amnesie. Wie sie in St. Andrews von einem Golfball getroffen worden war, das Märchen hatte sie sich eindeutig selbst ausgedacht.
    Und während also die Fans von Sirocco darauf warteten, einen Blick auf die Band zu erhaschen, wenn sie die Metallgangway ihres Privatflugzeugs herunterkam, stand Carole-Anne auf einem Bahnsteig der Victoria Station.
    Jury schluckte. Dann zog er die Karten aus der Tasche, schob sie ihr über den Tisch zu und versuchte zu lächeln.
    Als Carole-Anne sie sah, mußte sie es gar nicht erst versuchen. Auf einmal hatte ihr Gesicht wieder Farbe. »Super! Wo haben Sie die denn her?« Ihre Augen wurden schmal. »Sie haben doch nicht etwa die Wucherpreise auf dem Schwarzmarkt gezahlt?« Dann machte sie ganz runde, o so blaue Augen, schnappte sich das Tischchen, beugte sich darüber und küßte ihn. »Wo um alles haben Sie die Karten aufgegabelt?«
    Jetzt lächelte Jury wirklich und stand auf. Seine Beine waren eingeschlafen und taten höllisch weh. »Mein Geheimnis.«
    Carole-Anne liebte Geheimnisse.
    Das Ritz war immer noch so luxuriös, wie er es in Erinnerung hatte, nur nicht so groß, wie es ihm als Sechsjährigem damals vorgekommen war. Aber so ging es einem meistens. Wenn es auch an Größe abgenommen hatte, so doch nicht an Glitzer und Glanz, Pracht und Prunk: dicke Teppiche, Kristallüster, Sessel aus Rosenholz und Gold, Nischen mit Säulen, wo Gäste ihren Kaffee oder Cocktail zu sich nahmen, und natürlich der lange, höher gelegene Salon mit seinen weißgedeckten Tischen und Teegedecken. Selbst zu dieser späten Stunde saßen einige Gäste noch bei ihrem Nachmittagstee.
    Alvaro Jiminez trank in der Lobby in einer der Nischen Kaffee. Er stand auf und schüttelte Jury die Hand, nachdem dieser sich vorgestellt hatte. Ein eindrucksvoller Mann, größer als einsachtzig, dunkles Gesicht und feine Züge, DesignerJeans und eine Denim-Jacke mit Nieten über einem schwarzen Rollkragenpullover. Abgesehen von einer Rolex trug er keinerlei Schmuck. Er sprach mit einer gewissen Selbstironie, schien sich perfekt zu beherrschen. Seine Mutter, so erzählte er Jury, stammte

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