Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
ganz oben auf.« Er blickte Jiminez über den Teetisch und das silberne Kaffeegedeck hinweg an.
»Raus damit, mein Freund, was wollen Sie damit andeuten?«
»Finden Sie das nicht eigenartig?«
»Eigenartig? Ich find, es ist der helle Wahnsinn. Aber Reisende soll man nicht aufhalten.«
Jury konnte sich unschwer vorstellen, daß Alvaro Jiminez oft zu den Reisenden gezählt hatte. »Wann ist Raine zu Ihrer Band gestoßen?«
»Ich habe Charlie auf einer Tournee kennengelernt, Moment mal, das war vor vier Jahren. Heute hier, morgen dort, an die tausend Auftritte, so ist es uns vorgekommen, von Kalifornien bis Florida. Und eines Abends kommt Charlie in diese Kaschemme in Key Biscayne reinspaziert. Wes kannte ihn schon von Gigs in New York. Wir hatten auf Mundpropaganda gehofft, bloß daß wohl keiner den Mund aufgemacht hatte, denn in der Kneipe hockten nicht mehr als zwanzig, dreißig Figuren, und die waren fast alle zugekifft.
Charlie wäre mir auch so aufgefallen. Stand an der Theke und nippte bloß an seinem Bier, hatte einen kleinen Verstärker, das reinste Kinderspielzeug, in den Gürtel gehakt und seinen verbeulten Gitarrenkasten an einen Barhocker gelehnt. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Dann ging mir auf, daß er ein Jünger war.«
Jury runzelte die Stirn. »Er war Ihnen von Ort zu Ort gefolgt?«
»Du hältst uns wohl für diese beschissenen Dead, frag ich ihn, hast mich mit Garcia verwechselt, und er sagt ungerührt: >Wie könnte ich?<« Alvaro grinste. »So wie er das sagte, mußte ich entweder besser oder ein Scheißdreck sein. Er schiebt mir jedenfalls ein Demoband rüber und sagt, er würde gern eine Nummer mit uns zusammen spielen, falls es mir nichts ausmacht. Jetzt, an diesem Abend. Ich frag ihn, was zum Teufel ein britisches Gör wie er in Key Biscayne zu suchen hat? >Bin auf Arbeitssuche<, sagt er. Der Typ hatte wirklich was an sich, also sag ich: >Du spielst natürlich als Lead-Gitarrist.< Wollen sie doch alle. Er sagte: >Ich spiel alles, Rhythmus, Baß, was du willst. Welche Musik auch immer.< Bei der nächsten Nummer steht er mit auf der Bühne, und nicht zu fassen, die zwanzig, dreißig Leutchen ziehen sich doch wahrhaftig den Strohhalm aus der Nase. Mann, fuhren die auf ihn ab. Der konnte noch das ganze verstaubte Zeugs spielen, was sie hören wollten. >Georgia On My Mind< - da hoben sie völlig ab. Und ein paar kriegten sogar den Hintern hoch und tanzten. Der weiß einfach, was die Leute wollen. Das zusammen mit so einer Wahnsinns-Blues-Tour, so wie Clapton - das ist der Stoff, aus dem Stars gemacht werden.«
Jury dachte kurz nach. »Sie haben den Namen der Band geändert.«
»Je nun. Wir fanden alle, daß Bad News Coming ziemlich abgedreht war, und haben ein paar neue Sachen überlegt. Sirocco stammte von Charlie. Keiner von uns wußte, was es war, aber es klang gut.«
Jury lächelte. »Wußte es Charlie?«
»>Ein heißer Wüstenwind<, so ähnlich jedenfalls. Sehen Sie mal, was da kommt.«
Eine Frau im üppigen grauen Zobel mit dazu passender hochgetürmter Frisur kam um die Ecke gerauscht, ein junges Mädchen im Gefolge. Lederne Abendhandschuhe, italienische Schuhe aus Glaceleder, Baumelohrringe, Kette und Armbänder, alles mit Diamanten besetzt, so daß Jury bei ihrem Anblick an die Kristallüster denken mußte. »Sind Sie nicht von dieser Band, Sirocco?« Ihre Stimme war so exaltiert wie die Aufmachung, leise und bemüht kultiviert. »Sind Sie nicht Mr. Jiminez?« Das »Schim-« hätte Wiggins hören sollen. Das Mädchen errötete und wandte den Blick ab. Sie war es, die Alvaro Jiminez erkannt hatte.
»Stimmt, Süße.« Er kritzelte seinen Namen auf eine Meldekarte des Ritz, musterte die Frau und fragte: »Sie kommen doch zum Konzert?«
Die Mutter wirkte irritiert. »Welches Konzert?«
Jury sah, daß das Mädchen am liebsten in ein Mauseloch gekrochen wäre, so peinlich war ihr die Szene. Alvaro fing ihren Blick auf, fragte nach ihrem Namen (der Belle lautete) und sagte: »Belle, erzählen Sie Ihrer Mama, welches Konzert.«
Das schien Belle zu freuen; ihre Wangen nahmen wieder eine normale Farbe an, sie strahlte, und ihre Augen funkelten. »Hammersmith Odeon. Morgen abend.«
Jiminez grinste. »Sie kommen doch sicher.«
Die Mutter setzte zu einer langatmigen Erklärung an, was sie morgen alles für »Verpflichtungen« hätten, wohin sie überall wollten, wen sie alles besuchen müßten (wichtige Leute allesamt), und Jiminez blickte die ganze Zeit Belle an, der bei der
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