Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
an.« Über Ellens Arm lag ein Gewand in gedecktem Grün, ein Geschenk der Principessa, ein ganz besonderes Stück, wie diese sagte, eines ihrer Lieblingskleider und genau das richtige für Ellen; es stünde ihr gewiß gut, sie würde schon sehen, wenn sie es anprobierte. Die Principessa hatte es in der venezianischen Traumstraße der Mode erstanden, der Calle Regina. Ein Inder habe es entworfen.
Vermutlich, dachte Melrose gereizt, ein tibetanischer Mönch. Mußte die Principessa dauernd Venedig erwähnen?
George Poges sagte gerade: »Warum zum Teufel haben Sie keine normalen Koffer wie vernünftige Menschen?« Trotz der frischen, kalten Luft schwitzte er und mußte sich den Nacken mit dem Taschentuch wischen.
»Ich laufe doch nicht Reklame für irgendwelche Firmen. Von wegen. Gekritzelte Namen auf meinem Gepäck, nein danke! Können Sie sich Madame Vionnet vorstellen, wie sie mit einem Firmenemblem auf dem Rockaufschlag herumläuft? Die Geschmacklosigkeit kennt keine Grenzen mehr. Sie können mir glauben, das Kleid -« und dabei streichelte sie das dunkle Schlabbergewand über Ellens Arm - »ist halb Venedig wert. Aber nicht an jeder.« Die Principessa umarmte Ellen und küßte sie auf die Wange, nicht etwa in die Luft (wie diese widerlichen, hochgestellten Gesellschaftsziegen, dachte Melrose), sondern richtig.
Major Poges tat es ihr recht knurrig nach.
Keiner von beiden jedoch fühlte sich berufen, den Braines, die gerade aus der Tür traten, ebenso zärtlich adieu zu sagen.
Ellen saß mit tieftrauriger Miene auf einem der Steine im Hof und rauchte vor sich hin.
»Ich verstehe nicht, warum Sie nicht mit Richard Jury und mir nach London zurückfahren wollen.«
Das überhörte sie und sagte statt dessen: »Charlotte Bronte hat gesagt, daß jedes ihrer Bücher eine Qual für sie war.«
Ellen blickte dabei betrübt zu Boden. »Die Schule da bei Kirksby Londale - die war wohl das Vorbild für die Lowood School. Die Disziplin war streng; Marie Bronte ist mit elf an Schwindsucht gestorben, und Eliza einen Monat später, mit zehn.« Melrose konnte ihren Gedankengängen erst folgen, als sie anfügte: »Was wird nun aus Abby?«
»Sie wird gewiß nicht an Schwindsucht sterben. Ihr gehört -«
Ellen drückte eine Zigarette aus. »Nein, an einer Kugel im Rücken, so ist das. Schei-benhonig! Wie könnt ihr Mistkerle sie hier nur allein lassen?«
»Sie ist nicht allein! Wie viele Male muß ich Ihnen noch sagen, daß die Polizei von Keighley sie schü-«
»Ach was! Ha! Ha!« Soviel zur Polizei von Yorkshire. Dann fragte sie: »Wann bringen Sie eigentlich Ihre
Busenfreundin zum Zug?«
Vivian. Freundin hier, Freundin da, bis sie sich zur Busenfreundin gemausert hatte. Er sagte, und das nicht zum erstenmal: »Morgen früh um elf. Sie fährt mit dem Orientexpreß nach Venedig.«
»Dann dürfte sie Kies haben.«
»Sie doch auch, falls das wichtig ist.«
Aber sie hörte nicht zu; sie hielt das Geschenk der Principessa hoch, versuchte, es über Lederjacke und Jeans zu drapieren. »Was halten Sie davon?«
Darauf Melrose: »Ich weiß nicht recht. Tragen Sie überhaupt Kleider?« Er war ärgerlich, weil sie schon wieder die Busenfreundin erwähnt hatte. Dann sah er ihren gesenkten Kopf und schämte sich. Was das Kleid anging, so schienen Zweck und Form unergründlich, die Farbe ein schlammiger Grünton, dunkel und verschossen. »Vielleicht sollten Sie es einmal anprobieren. Sie hat gesagt, es paßt sich der Trägerin an.«
Melrose war so in den Streit vertieft, daß er kaum mitbekam, wie ein anderes Auto, Jurys nämlich, beim Haus hielt.
Jury stieg aus, kam zu ihnen herüber und brachte dabei die wenigen Enten in Aufruhr, die unbedingt zum Zaun watscheln mußten.
»Wir unterhalten uns gerade darüber«, sagte Ellen, »ob man Abby hier allein lassen kann, da Sie alle nach London verduften wollen.«
Selbstverständlich hörte sich das bei ihr an, als ob Melrose ihre Meinung teilte.
Statt sie zu beruhigen, fragte Jury: »Und Sie, Ellen? Kommen Sie etwa nicht mit?«
»Ich? Ich lasse sie nicht allein.«
Jury blickte erst zur Scheune und dann wieder zu Ellen. »Ich dachte, Sie hätten vor Ihrer Rückkehr noch in London zu tun. Hatten Sie nicht ein Ticket für die >Queen Elizabeth II.«
Sie vergrub die Hände in den Jackentaschen und kratzte mit dem Schuh im Kies. »Kann immer noch die Concorde nehmen.«
»Heute abend ist ein Konzert. Sirocco. Das wollen Sie doch wohl nicht verpassen, oder?«
Melrose gefiel die
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