Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
blassen Dunst hat. Da haben Sie Duckworths Nummer.« Wieder bekam Jury einen Fetzen in die Hand gedrückt, abgerissen von einem Brief des Aufsichtsratsvorsitzenden, was Jury erst merkte, als er ihn studierte.
»Die Metropolitan Police weiß Ihre Hilfe zu schätzen. Könnte ich mir ein paar alte Hefte von Segue mitnehmen?«
»Healeys Kritiken? Selbstverständlich.« Er bediente erneut die Sprechanlage, sprach mit seiner Sekretärin, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Superintendent, was suchen Sie eigentlich?«
Jury verstaute sein Notizbuch, stand auf, bedankte sich bei Martin Smart und sagte: »Nichts Besonderes.«
»Sie sollten wirklich für uns arbeiten.«
Im Gehen drehte sich Jury noch einmal um. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn mein Sergeant in ein, zwei Tagen vorbeischaut und sich mit ein paar Leuten hier unterhält?«
Wieder sah Smart zur Decke hoch. »Teufel auch. Nein. Von mir aus können Sie uns auch noch die Sitte auf den Hals schicken. Bringt ein bißchen Leben in die Bude.« Er verzog das Gesicht. »Warum zum Teufel hat sie ihn nur umgebracht?« Er sah Jury an. »Vielleicht hatten sie ein paar Differenzen?« Er wirkte jetzt völlig ernst.
»So könnte man wohl sagen.« Jury verabschiedete sich.
Jury wollte seinen Augen nicht trauen, als er das Haus unweit Kensington Gardens, in der Nähe von Rotten Row, betrat. Von außen war es lediglich eines von vielen schmalen Gebäuden im georgianischen Stil mit gelber Tür und Messingklopfer in Form eines Delphins.
Drinnen jedoch schien es sich endlos und höhlenartig bis zu dem Raum zu erstrecken, in welchem er jetzt mit Mavis Crewes saß, ein Raum, der teils Wintergarten, teils riesige Voliere zu sein schien. Vom Boden bis zur Decke nichts als Vogelgefieder, Vogelgezwitscher und Vogelblattwerk. Durch Palmwedel hindurch starrte ihn ein winziges, leuchtendes Auge an, öffnete und schloß sich wieder.
Doch damit nicht genug des Blattgeschlinges. Überall im Raum standen Kübel mit Pflanzen, einige baumgroß und mit herabhängenden Zweigen; einige mit ledernen, flächigen Blättern; einige fedrig und farnartig; alle jedoch ließen an Hitze und Dschungel denken. Ein fast lebensgroßer Leopard aus Keramik, der schlitzäugig durch die Gummibäume schielte, und ein Eberkopf mit offenem Maul, der rechts von Jury mit seinen Glasaugen von der Wand starrte, verstärkten diesen Eindruck noch. Hinter ihm stand ein Gewehrkoffer; er gab sich Mühe, nicht auf das Zebrafell unter dem Tisch zu treten. Dieser sei aus einem Baum geschnitzt, den ihr seliger Mann aus Nosy-Be mitgebracht habe. Ein Baum (so Mavis Crewes), der fadi - tabu war. Ihr Mann war nicht abergläubisch.
Aber tot. Woran er wohl verschieden sein mochte?
In diesem Wintergarten saßen Jury und Mavis Crewes, umgeben von seltsamen, exotischen Pflanzen, Grasschilden, Speeren und Ibo-Masken, und tranken Kaffee und Evian-Wasser. Als Stärkungsmittel stand außerdem eine geschliffene Karaffe mit Whisky bereit.
Immer wieder mußte Jury die dünnen Stengel einer herabhängenden Bougainvillea beiseite schieben. Das Ambiente, das ihm das Atmen schwermachte, schien auf Mavis Crewes offenbar beruhigend und erholsam zu wirken. Sie redete in kleinen, hastigen Anfällen, die immer dann abbrachen, wenn sie auf Roger Healeys Tod zu sprechen kamen, aber sicher auch durch eine angeborene Schroffheit bedingt waren. Ein riesiges Tigerauge glänzte an der Hand, die hier mit einem Blütenblatt, dort mit einem Palmwedel spielte. An der anderen Hand, welche bedächtig das Wasserglas drehte, funkelte ein klotziger Diamant.
Gemessen an ihrer langen Berufserfahrung als Redakteurin durfte sie in den Fünfzigern sein, war aber auf Vierzig herunterfrisiert, -massiert, -gehungert und -gebräunt. Zu einer sandfarbenen Hemdbluse und teuren DesignerStiefeln trug sie eine Buschjacke.
Die Umgebung, die Kleidung, das schmale, leicht muskulöse Äußere paßten perfekt zueinander. Nur daß das alles nicht nach Trauer aussah, ein Stichwort, das Mavis Crewes jedoch gleich zu Beginn der Unterhaltung hatte einfließen lassen. Sie besäße nichts Schwarzes, und einen Einkaufsbummel hätte sie angesichts des Todes ihres >lieben, alten Freundes< unangemessen gefunden. Wenn sie überhaupt erwog, nach seinem Tod Trauer zu tragen, so ließ sich daraus schließen, daß er ihr in der Tat sehr lieb gewesen sein mußte.
Nach der Scheidung vom ersten Ehemann und nach dem Tod des zweiten hatte sie wieder zugegriffen
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