Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
angewiderten Blick.
»Und wie werden wir reisen?« warf Melrose ein, hielt jedoch mit dem Ellbogen gut die Zeitung fest, als ihr Blick in diese Richtung schweifte.
»Wir? Ich nehme den Zug«, sagte sie und spielte mit einem weißen Pappstückchen herum; dann erkannte sie die Ratte und fragte mit gerunzelter Stirn: »Was ist das?«
»Nichts«, sagte Trueblood. »In der Regel sagen Leute, die mit dem Orientexpreß reisen, nicht, daß sie >den Zug nehmen<.«
Worauf sie nichts erwiderte.
Melrose wußte, daß sie es nicht leiden konnte, wenn man sie in einen Topf mit Leuten warf, die einen luxuriösen Lebensstil pflegten, weil sie meinten, das sei die beste Methode, sich am Rest der Menschheit zu rächen.
»Selbstverständlich reisen wir auch so«, sagte Trueblood und bewegte sich um den Bruchteil eines Zentimeters, damit Dick Scroggs ihre Getränke auf dem Tisch abstellen konnte.
»Das da sieht mir ganz danach aus«, sagte Vivian und blickte die Ratte im Aschenbecher mit zusammengekniffenen Augen an, »als stammte es aus einem von diesen Ausschneidebogen oder so etwas Ähnlichem.«
Trueblood entwand ihr geschickt die kleine Pappratte und sagte: »Davon gibt es reichlich in den Kanälen, Vivilein.«
Wenn Blicke töten könnten! Dick Scroggs jedoch strahlte sie an und meinte: »Ja, ja, Miss Rivington, Sie sind woll ganz schön aufgeregt, was? Soll woll bald losgehn, was?«
»In ungefähr zwei Wochen.«
Dick ließ sich durch ihren schnippischen Ton das Lächeln nicht nehmen. »Nur keine Bange. Die vergehn schneller, als Mrs. Withersby ’n Bier zwitschern kann.«
»Einfach zu albern«, sagte Trueblood. »Eine Winter hochzeit in Venedig. Lieber Himmel. Wir wollten Sie überreden, das Ganze bis zum Frühling aufzuschieben.«
Sie sah Melrose hoffnungsvoll an. »Aber ich habe es doch schon mehrfach aufgeschoben.«
»Na und?« erwiderte Melrose. »Dem wird die Zeit schon nicht lang.«
Jetzt blickte sie argwöhnisch. »Wie soll ich das verstehen?«
»Da fragt man sich«, sagte Dick Scroggs, der sich allmählich für das Thema erwärmte, »wieso Sie eigentlich nich’ in Long Pidd heiraten.« Das Tablett in seiner Hand schloß das ganze Lokal ein. »Ich, also ich könnt Ihnen ’nen richtig schönen Hochzeitsempfang ausrichten, Miss.«
»... sehr lieb von Ihnen«, murmelte Vivian und zeichnete mit ihrem Portglas einen feuchten Kreis. »Aber es geht einfach nicht, Dick.« Sie klang schon wie eine traurige Exilantin.
»Man reist nicht gern«, sagte Trueblood. »Die Familie Giopinno hat etwas gegen Reisen.«
Vivians Gefühlsausbruch war so heftig, daß sich Dick Scroggs eilends hinter seiner Theke in Sicherheit brachte. »Sie wissen nichts, aber auch gar nichts über die Giopinnos!« Wütend funkelte sie erst Trueblood, dann Melrose an.
Melrose wandte sich ihr zu, gab jedoch gut acht, daß seine Ellbogen immer noch auf der Times ruhten, und sagte dann: »Ach nein?«
»Nein! Alles erstunken und erlogen. Sie haben sich eine ganze Familie aus den Fingern gesogen. Sie haben es mit Ihrer Flunkerei so weit getrieben, daß Sie Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten können. Kein Wunder -« und jetzt tönte sie wie die Posaune zum Jüngsten Gericht -, »wo Sie doch beide in einer Phantasiewelt leben!« Diese Feststellung schien ihr zuzusagen.
»Oh?« Er sah, wohin ihr Blick wanderte, und seine Hand, die gerade das Glas Stout umfaßt hatte, schoß über die Zeitung.
Die Finger gegen die Tischkante gepreßt, als wollte sie sich ihrer albernen Gesellschaft auf diese Weise entledigen, belehrte Vivian sie in schulmeisterndem Ton. »Ewig hocken Sie vor dem Lunch und dem Abendessen hier herum und haben nichts Besseres zu tun, als sich Geschichten auszudenken -«
»Hm, das würde ich so nicht sagen, Viv -« Ein Knistern, ein Rascheln, als Trueblood versuchte, die Beine anders überzuschlagen.
»- über Francos Familie beispielsweise. Seine Mutter ist ganz und gar nicht fett und hat auch keinen schwarzen Schnurrbart. Und sie kocht nicht, hier zitiere ich Sie -« jetzt war Melrose gemeint -, »trotz ihres Aufstiegs in höchste Gesellschaftskreise Spaghetti Carbonara, und sie brät ihren fünf Brüdern auch keine Tintenfische in der Pfanne, und das zweimal die Woche. Francos Mutter ist klein, eher mager, trägt ärmellose Kleider und spricht vier Sprachen .«
Während sie fortfuhr, ihn über die Gräfin Giopinno ins Bild zu setzen, musterte Melrose ihre Fingerspitzen; um den Daumennagel herum war die Haut
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