Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
etwas eingerissen. Das griff Melrose seltsam ans Herz, und gern hätte er seine Hand auf ihre gelegt.
»- und er hat keine sieben Vettern, die den Blasebalg treten und für die Touristen auf Murano Glaspferdchen blasen; oder aber sechs Onkel mit unverhohlenen Sympathien für die kommunistische Partei -«
»Sie haben ein fabelhaftes Gedächtnis, liebe Vivian«, sagte Melrose und stellte dabei fest, daß ihre leicht nach oben gebogenen Mundwinkel ihr etwas hoffnungslos Liebenswürdiges gaben, und wenn sie noch so wütend war.
Sie hörte gar nicht hin. »Und was Sie angeht -« sie wandte den Kopf so heftig, daß Trueblood erschrocken zusammenfuhr -, »so hat er keine jüngere Schwester, die über die Klostermauer geklettert ist und Schande über die Familie gebracht hat, weil sie mit einem Wanderzirkus durchgebrannt ist; und was die Großmutter mütterlicherseits und ihre mitternächtlichen Sauftouren angeht -« Vivian biß die Zähne zusammen und informierte sie auch über diesen Zweig der Familie gründlich.
Melrose unterdrückte ein Gähnen und sah, daß Trueblood die leere Miene von Blöden, Irren oder Menschen aufgesetzt hatte, die mit ihren Gedanken ganz woanders sind. Auch er hörte nicht richtig zu.
»Du liebe Zeit, Vivian, das sollen wir alles behauptet haben?«
»Je-des ein-zel-ne Wort.«
Trueblood zog ein Schmollmündchen. »Es war Richard Jury, der den Zirkus -«
Krach , knallte ihre Faust auf den Tisch, daß die Ratte aus dem Aschenbecher hüpfte. »Richard Jury hat Besseres zu tun, als den lieben, langen Tag hier herumzuhocken und mit offenen Augen zu träumen!« schrie sie.
Dick Scroggs bewegte den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel und sagte: »Ha’m Sie das von dem neuesten Fall da oben im West Riding gelesen, Miss .?«
Melrose las in der Tat noch am selben Abend in Ardry End von dem Verbrechen, während Agatha auf seinem Queen Anne-Sofa saß, sich mit Pökelzunge und Patisserien vollstopfte und von Harrogate schwatzte.
»Ich verstehe einfach nicht, warum du dir kein Zimmer im >Alten Schwan< nehmen willst, wo Teddy und ich absteigen. Teddy hätte dich so gern dabei; sie hat mir mehrfach versichert, wie sehr ihr daran liegt, dich wiederzusehen.«
Melroses Verlangen, Teddy in Harrogate wiederzusehen, hielt sich in Grenzen, nachdem er sie einst in York gesehen hatte. Am Ende hatte er aber eingewilligt, den Chauffeur zu spielen und Agatha dorthin zu kutschieren; das gute georgianische Teeservice würde ihm die Verschnaufpause danken. Jetzt las er erst einmal seine Times weiter.
»Melrose, würdest du freundlicherweise die Zeitung weglegen und Ruthven sagen, daß der Käsekuchen alle ist. Und warum gibt es keine Kressesandwiches? Hat Martha nicht gewußt, daß ich komme?«
Melrose legte die Zeitung beiseite und griff zu dem Manuskript des neusten Thrillers von seiner Freundin Polly Praed, das er zwischen Kissen und Sessellehne gestopft gehabt hatte. Sterben wie ein Doge war anfänglich als Sterben wie eine Dogge konzipiert gewesen (so Polly Praed), und als Hauptfigur hatte ihr ein als Blindenführer arbeitender deutscher Schäferhund vorgeschwebt. Doch ihr Verleger spielte nicht mit, meinte allen Ernstes, daß es dieser Tage viel zu viele Krimis mit Hunden und Katzen als Helden gäbe. Das Thema sei mittlerweile abgedroschen. Das alles hatte Polly Melrose erzählt, und zwar in erbittertem Ton, so als sei er daran schuld; schließlich hatte er sie auf die Idee gebracht, als Rahmen einen Jahrmarkt und als Show-down beispielsweise eine Situation zu wählen, in der ein Terrier Jagd auf die Sackhüpfer macht. Doch als er dann auf Vivian Rivington und Venedig zu sprechen kam, da war aus der Dogge unversehens ein Doge geworden und aus dem Jahrmarkt ein Karneval. Bislang hatten zehn Mitglieder einer englischen Reisegruppe auf beinahe ebenso wenigen Seiten daran glauben müssen, waren umgefallen wie die Fliegen. Polly wurde mit jedem Buch blutrünstiger. Das Leben in Littlebourne mußte furchtbar langweilig sein, aber sie ließ sich ihren Wohnort einfach nicht ausreden.
»Dein Betragen ist äußerst flegelhaft, Melrose.«
»Hmm?«
Agatha brummelte etwas von »billigen Schundromanen« und sagte dann: »Du bist, ehrlich gesagt, die letzten Monate äußerst ungesellig gewesen.«
»Warum willst du dich dann in Harrogate eine Woche lang mit mir ungeselligem Kerl abgeben?« Er nippte an seinem Sherry und machte es sich wieder in seinem durchgesessenen braunen Schaukelstuhl bequem, seinem
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