Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
gespürt. Und das war noch nicht das Ende. Es wird noch schlimmer kommen.«
Sie hätten in einem Wohnwagen sitzen können, denn sie hörte sich an wie eine Zigeunerin auf dem Jahrmarkt. Da sie den Ärger zeitlich nicht eingrenzte, hatte sie gut weissagen. »Ich bin übrigens Wassermann«, sagte er und lächelte.
»So gerade noch«, gab sie zurück und sammelte ihre Karten ein. Dann blickte sie sich im Zimmer um, als materialisierte sich ein Geist, und bemerkte, daß sie schon auf der Schwelle eine eisige Kälte angehaucht hätte. »Denken Sie an meine Worte«, setzte sie hinzu und zog Malcolm an sich.
»Ach, laß mich, Mum.« Der Junge entwand sich ihrer Umschlingung und fläzte sich auf einen Stuhl, wo er mit den Händen in den Hosentaschen saß und das Kinn auf die Brust drückte.
Das türkisgewandete Orakel erhob sich, schob ein paar blaue Armreifen aus dünnem Draht zurecht und befahl Malcolm-Spätzchen, ihr zu folgen.
Sie marschierten aus dem Zimmer, und Malcolm konnte es nicht lassen, den Tasten noch tüchtig eins zu versetzen; darauf drehte er sich um und funkelte Melrose böse an. Ätsch, Mann.
Zwar war die Dame am Kamin bei dem Donnerschlag zusammengezuckt, doch sie wußte sich zu beherrschen und verzog keine Miene, sondern blätterte lediglich um.
Aber man konnte ihr die Erleichterung nach dem Auszug der Braines ansehen. Sie legte das Buch umgekehrt auf den Schoß und stieß einen Seufzer aus. »Nun«, sagte sie und schaffte es, mit nur einer Silbe alle Schrecken des Familienlebens anschaulich zu machen.
Die Dame auf der Chaiselongue trug ein äußerst kostspielig aussehendes Kleid aus lavendelfarbener Seide mit rüschenbesetztem Samtoberteil. Kaum die Art von Kleid, die Melrose hier, in dieser etwas aufgemotzten Frühstückspension, erwartet hätte. Das blaugetönte, silbrige Haar hatte sie zurückgekämmt, im Feuerschein schimmerte es im Ton ihres Kleides. Ihr Buch war genauso elegant wie sie: klein, schmal, ledergebunden und mit Goldschnitt. Sie legte das Lesebändchen hinein, dann klappte sie das Buch zu und seufzte erneut.
»Ob in der Karaffe da wohl noch ein Schlückchen Sherry ist?« Das klang spitzbübisch. Sie blickte von Melrose zu dem geplünderten Sortiment von Tee, Sherry und Süßigkeiten auf dem Rosenholztisch und lächelte.
Er hob die Karaffe hoch. Der Boden war kaum mehr bedeckt, aber ein Gläschen konnte er vielleicht noch herauskitzeln. »Miss Denholme wird uns sicher gern mehr bringen.« Es gelang ihm, das Glas halb zu füllen, und er reichte es ihr.
»O ja, sie ist äußerst zuvorkommend, aber ich falle nicht gern lästig.«
Was Melrose bezweifelte, doch die Frau hatte etwas Quecksilbriges an sich, das ihm gefiel. »Das hat doch nichts mit Lästigfallen zu tun. Schließlich haben die anderen Gäste das Tablett als wahres Schlachtfeld zurückgelassen.«
»Sie bleiben Gott sei Dank nur zwei Nächte. In diesem Gewerbe kann man sich seine Gäste wohl nicht aussuchen. In all den Jahren, die ich schon hierherkomme, war die Gesellschaft erträglich, bestenfalls. Über das Schlimmstenfalls schweige ich lieber.«
»Und wie lange kommen Sie schon hierher?«
»Hm ... seit zwölf Jahren, mehr oder weniger. Eher weniger.« Sie nippte an ihrem Sherry, machte aus ihrer Hand ein kleines Tablett und stellte das Glas darauf ab.
Melrose hätte nicht gedacht, daß Weavers Hall zu den bevorzugten Aufenthaltsorten einer Frau wie dieser gehörte. »Dann gefällt es Ihnen hier also?«
»Nicht besonders. Haben Sie Feuer?« Sie hatte sich einen dünnen Zigarillo aus einem ziselierten Silberetui geholt.
Melrose lächelte, und während er ihr Feuer gab, sagte er: »Ihr Kleid ist wirklich wunderschön.«
Sie sah es an und schien es selber auch zu bewundern. »Danke. Es ist von Worth. Wenn Sie mich fragen, es gäbe sicherlich nur halb so viele Probleme auf der Welt, wenn sich jeder gut kleiden würde.« Sie seufzte und musterte Melroses Jackett. »Das da« - und dabei deutete sie mit dem Kopf auf seinen Blazer - »ist die Art von Kleidungsstück, das von der Stange gekauft eine Katastrophe sein kann.« Sie schüttelte sich. »Major Poges - haben Sie George Poges schon kennengelernt? Nein? Also, das muß man ihm lassen; er kleidet sich gut. Und er macht diesen Ort erträglich. Mein Mann ist leider tot.«
Wenn der Ort so unerträglich ist, wieso ist sie dann dauernd hier, dachte Melrose und sagte: »Oh, das tut mir aber leid.« Er holte sich eine Zigarette aus seinem eigenen silbernen Etui.
»Mein
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