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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verstorbener Mann stammte aus einer alten italienischen Familie, die Viacinni di Belamante. Ich hatte Glück und bin jetzt Principessa Rosetta Viacinni. Aber nennen Sie mich bitte Rose. Ich bin in Bayswater geboren.« Ein mattes, abbittendes Lächeln. »Und Sie sind -?« Sie legte den Kopf schief.
    »Plant, Melrose Plant.«
    »Haben Sie vor, länger zu bleiben, Mr. Plant? Wandeln Sie auf dem Bronte-Pfad? Erklimmen Sie die sauerstoffarmen
    Höhen von Top Withins, um alsdann neben den zerfallenen Ruinen in Ohnmacht zu sinken? Sind Sie ein Pilger?«
    »Kein Pilger, nein.« Melrose grinste. »Obwohl die Gegend hier recht schön ist, finden Sie nicht?«
    Und dabei hatte er, abgesehen von seinen düsteren Meditationen am Bach, noch nicht viel davon gesehen.
    »Schön? Du liebe Zeit!« Sie wölbte die Brauen.
    Dann wandte sie den Kopf gelangweilt zum Feuer, und Melrose konnte feststellen, daß sie einst weitaus schöner gewesen sein mußte als die Gegend hier. Zwar hatten Stirnfalten und Schlupflider ein wenig die Oberhand gewonnen, doch die hohen Wangenknochen, die gerade Nase und die elegante Haltung wiesen sie immer noch als Schönheit aus.
    »Viacinni di Belamante?« Melrose betrachtete das glühende Ende seiner Zigarette und sagte: »Italienischer Adel, nicht wahr?«
    »O ja. Ein feiner Mensch, wenn auch politisch etwas fanatisch. Erstaunlicherweise hegte er eine leidenschaftliche Liebe zu England. Und hier habe ich ihn auch kennengelernt .«
    O nein, dachte Melrose ein ums andere Mal, während sie von ihrem verstorbenen Mann erzählte. Mußten ihm denn überall und ununterbrochen italienische Adlige über den Weg laufen? Möglicherweise war Vivian einer ansteckenden Krankheit zum Opfer gefallen. Man stolperte ja förmlich über sie - bei einer flüchtigen Unterhaltung, auf Reklameplakaten, in der U-Bahn, in der Zeitung.
    »Und so«, sagte sie gerade, »wurde ich mit ein bißchen Glück, einem klitzekleinen bißchen Schönheit, besten Umgangsformen und noch besserem Köpfchen eine Principessa.« Das schien sie zu verwundern, denn sie breitete die Hände aus, was kindlich und unaufrichtig zugleich wirkte.
    Eine Baßstimme, die ihrem Besitzer vorauseilte, verkündete: »Rose, ich habe alles mitbekommen! >Ein kleines bißchen Schönheit<, du liebe Zeit -« Ein hochgewachsener Gentleman war ins Zimmer getreten. »Ganz London würde Ihnen zu Füßen liegen, wenn Sie sich dort nur öfter blicken ließen.«
    Melrose zögerte; sollte er sich als wohlerzogener Mensch beim Eintritt von Major Poges vom Sofa erheben? Denn um diesen mußte es sich handeln. Er nahm auf dem Sofa Melrose gegenüber Platz wie ein Reiter, der aufs Pferd steigt.
    Der Major strahlte überschäumendes Selbstvertrauen und gute Laune aus. Melrose schätzte ihn auf Ende Sechzig, Anfang Siebzig, aber er gehörte, wie die Principessa, zu den Menschen, die alterslos wirkten. Der straffe, etwas rötliche Teint; die frostigen, jedoch überraschend blauen Augen; der adrette graue Schnauzer; die Vornehmheit, die er sich beim Sprechen jedoch nicht anmerken ließ; das vollendet geschnittene Tweedjackett - all das machte Major Poges zum Inbegriff dessen, was England in Melroses Augen ausmachte. Nur die Plastiktüte, die der Major unterm Arm trug, irritierte ihn.
    Was zum Teufel trieb er hier? In diesem einst prächtigen, jetzt heruntergekommenen Haus, dessen Eigentümerin sich um Familie Braine und ihresgleichen kümmern mußte?
    »Wo ist der Sherry?« fragte Poges und ergriff die Karaffe am geschliffenen Hals, als wollte er einen Kranich erdrosseln. Er stellte sie voll Abscheu wieder hin, zog ein ledernes Zigarrenetui heraus und bot ringsum an, selbst der Principessa, die lediglich lächelte und mit ihrem Zigarillo eine ablehnende Geste machte. Er lehnte sich zurück, klopfte sich mit dem Offiziersstöckchen an die Schuhe und runzelte die Stirn. Dann blickte er auf. »Aha! Der Sherry ist durch die Gurgel dieser Person, dieser Braine geronnen - mein Gott! Haben Sie schon mal einen solchen Farbenrausch gesehen? Und dann auch noch Türkis. Hat sie ein Indianerreservat in Brand gesteckt?« Er griff in die Plastiktüte und holte eine Flasche Tio Pepe hervor.
    Vivians Lieblingssherry. Melrose zuckte innerlich zusammen.
    »Nachschub. Hauptsache, man hat immer Nachschub«, sagte der Major und schenkte jedem ein Glas ein. Er hatte zu rauchen, zu trinken und seufzte vor Erleichterung. Wieso erleichtert? Melrose hätte es nicht zu sagen gewußt. Schließlich hatte er nicht den

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