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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Sie wollten bei Sirocco vielleicht auch mal in der ersten Reihe sitzen. Sie haben doch keine Ahnung«, sagte der böse Bube von oben herab, während die Musik dröhnte.
    »Das ist ein heißer Wind aus der Sahara. Auf Wiedersehen.«
    »Blödmann!« kreischte der Junge hinter ihm her. »Eine der besten Rockgruppen auf der ganzen Welt!« Er fuchtelte mit dem Poster. »Und ich sitze im Konzert in der ersten Reihe!«
    Melrose ging weiter. Hoffentlich zertrümmerten Musiker immer noch ihre Gitarren wie Peter Townsend, setzten ihr Schlagzeug und ähnliche Dinge in Brand, daß die Trümmer und die brennenden Fetzen nur so in die erste Reihe flogen. Als er sich dem Plattenweg näherte, sah er zu seiner Linken ein kleines Mädchen aus Richtung der Scheune und Ställe kommen. Er kniff die Augen zusammen. Es war die Furie, das Kind, dem er beim Tierarzt begegnet war. Ihr schwarzes Haar glänzte wie ein Helm, sie hatte sich ein weißes Umschlagtuch umgelegt, das ihr fast bis zu den Knöcheln reichte, und trug ein Kleid, das ihr zu lang war.
    Falls sie ihn sah, so ließ sie sich nichts anmerken. Angesichts ihres zielstrebigen Schrittes und ihrer Miene zweifelte er ernstlich daran, daß sie überhaupt etwas anderes als den Gegenstand ihres Zorns dort am Zaun wahrnahm. Die graue Katze hatte sie sich wie einen Mehlsack über die Schulter gelegt.
    Ein paar Enten kehrten dem üblichen Hühnerhofgezänk den Rücken und kamen ihr am Zaun entgegen. Sie schienen zu wissen, daß etwas im Anzug war, vorzugsweise Futter, und der Hahn kam auch zu ihr herübergestakst.
    Als der Junge sie sah, glitt ihm der Stereoapparat aus der Hand (die Musik spielte weiter); dann versuchte er, sich rückwärts durch den Zaun zu verdrücken. Aber kein Entrinnen. Wie die Enten spürte auch Melrose, daß etwas im Anzug war, als das Mädchen die Katze neben dem Steinhaufen absetzte. Die putzte sich friedlich, unter dem Schutz ihrer Herrin konnte ihr offenbar nichts passieren.
    Melrose stellte den Koffer wieder ab und eilte ihr vorsichtshalber zu Hilfe, während die Furie dem Jungen auf den Pelz rückte. Wandelte dieses kleine Mädchen tagaus, tagein am Rande des Abgrunds?
    Offenbar. Ehe er es verhindern konnte, fuhr ihr Arm hoch, und sie versetzte dem Jungen blitzschnell einen Kinnhaken, daß es nur so krachte.
    Die Hühner drehten durch; der Hahn stakste durch die Gegend wie Frankensteins Monster, und aus dem Stereoapparat kam wilder Beifall, Gepfeife und Gejohle, das zu einem brüllenden Crescendo anstieg. Der Junge rutschte vom Zaun und heulte los, doch das ging in dem Krach unter.
    »Schluß jetzt!«
    Beim Klang dieser Stimme fuhr Melrose herum. Die türkisfarbene Turbanfrau, die Mutter des bösen Buben, kam vom Haus her auf sie zugelaufen. Sie störte die graue Katze auf, die wieder Gefahr witterte und auf dem Weg davonschoß. Die Hühner spritzten auseinander, während die Giftnudel das kleine Mädchen ankreischte. Melrose hatte den richtigen Augenblick verpaßt, um sie gewaltsam aufzuhalten oder ihr ein Bein zu stellen - alles, was sie daran gehindert hätte, der Furie eine Ohrfeige zu geben, bei der das Kind eigentlich hätte zu Boden gehen müssen, doch es wankte nicht einmal. Es stand mit gespreizten Beinen fest auf der Erde und ließ sich einfach nicht auszählen.
    Er beugte sich zu dem kleinen Mädchen hinunter. »Alles in Ordnung?«
    Sie nickte mit gerunzelter Stirn, als versuche sie sich zu erinnern, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Ihre Augen waren gar nicht braun, wie er anfangs gedacht hatte. Sie waren tief dunkelblau und schwammen jetzt in Tränen. Sie blickte zu den fernen Hügeln; der dunkelrote Fleck auf ihrem Gesicht, der aussah wie das unauslöschliche Mal einer Hexenhand, schien ihr nichts auszumachen. Dann kniff sie die Augen zusammen, wickelte sich entschlossen in ihr weißes Tuch und stapfte davon.
    Während Melrose noch dem weißen Umschlagtuch nachsah, das in der Scheune verschwand, war eine Frau auf den Gehweg getreten und fegte die Platten. Als er sie bei dieser häuslichen Tätigkeit sah - in ein ähnliches Umschlagtuch gehüllt wie die Furie, ihres jedoch schwarz -, war er richtig ein bißchen erleichtert. Und als sie näher kam, hatte Melrose das gespenstische Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben; das war doch die Frau, die übers Moor gegangen war. Die Haltung, der entschlossene Blick, das lange Umschlagtuch, all das trug zu diesem Gefühl von Déjà-vu bei.
    Man konnte sie durchaus als attraktiv bezeichnen, als eine

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