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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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wenn er in seinem bequemen Sessel vor dem Kamin saß und Mindy zusah, wie sie so gleichmütig dahinlebte, hatte er das Gefühl, er müßte jetzt aufspringen, sein Fernglas holen, nach draußen laufen und Vögel beobachten. Ein Landedelmann von guter Herkunft und mit irdischen Gütern gesegnet sollte wirklich mehr Interesse für die Natur ringsum aufbringen. Melrose schloß einen Kompromiß. Er hatte das Fernglas immer neben sich auf dem Fußboden parat liegen und hob es gelegentlich ans Auge, wenn etwas am Salonfenster vorbeiflatterte.
    »Wo sind wir?« fragte er schon wieder, und seine Augen suchten die Schneewüste nach irgendeiner Markierung, irgendeinem Wegweiser ab. Vor kurzem hatten sie einen Bach überquert (unter Lebensgefahr, fand er), dessen Fluten, angeschwollen durch den geschmolzenen Schnee des Vortages, über abgestorbene Wurzeln und Steine gurgelten.
    »Nirgendwo Bestimmtes«, sagte Abby.
    Er blieb stehen, stieß den Hirtenstab in den Schnee und sagte: »Willst du damit sagen, daß du es nicht weißt?«
    Sie musterte ihn frostig. »Wir haben uns nicht verirrt.«
    Der Hund rannte auf eine alte Bruchsteinmauer zu, daß der Schnee hinter ihm nur so hochstiebte.
    Melrose war aber verirrt zumute. »Ich hätte eine Karte mitnehmen sollen.« Sie stapfte vor ihm auf die Mauer zu, immer hinter dem Hund her, und schwang dabei den Totschläger. Für sie war das wohl ein recht lustiges Abenteuer, eine Art Spiel. »Mein Gott, so warte doch. Was bezweckst du eigentlich mit diesem Moorausflug?«
    »Möchten Sie etwa lebendig begraben sein?« In den blauen Augen gewitterte es.
    Sie hörte sich schon an wie die Braine, wenn die eine ihrer sibyllinischen Äußerungen über Hadrians Truppen vom Stapel ließ.
    Sie schnalzte mit der Zunge, und Stranger machte sich auf einen Erkundungsgang längs der Mauer. Hier hatte der Wind den Schnee zusammengeweht, und der Hund schnüffelte die Wächte langsam ab. »Los, stochern Sie mit dem Stock.«
    »Suchen wir jetzt nach Schafen? Du liebe Zeit, wer hier einschneit, ist doch tot.«
    »Sind sie nicht«, sagte sie sachlich. »Damit kennen Sie sich wohl nicht aus, die machen sich mit ihrem Atem nämlich Luftlöcher -«
    »Ach, sei still.« Aber er tat wie geheißen und riß sich zusammen. Er würde nichts mehr aus ihr herausbekommen, wenn er sie noch tiefer in ihr Schweigen trieb. Der Stab traf auf keinerlei Widerstand; was sollten sie nur mit den eingeschneiten Schafen machen, falls sie welche fanden? Stranger war am Ende der Mauer angelangt und drehte sich hechelnd um.
    »Alles in Ordnung hier«, sagte sie. »Dahinten kommt noch eine Mauer.«
    »Dann weißt du also, wo wir sind.«
    »So ungefähr.« Sie stiefelte weiter und schwenkte den Totschläger über dem Kopf. Eine weitere Mauer!
    Sie kamen näher. »Sieht so aus, als ob wir da nicht durchkönnten.«
    »Es gibt ein Loch«, sagte sie und überhörte damit seine Bemerkung. Sie legte Melroses Totschläger sorgsam neben das Loch, ging auf alle viere und kroch durch.
    Das letzte, was er von ihr sah, war eine behandschuhte Hand, die nach dem Totschläger griff und ihn durchs Loch zog. Dann herrschte Schweigen.
    Er überlegte, wie groß das Loch sein mochte, taxierte die Größe des Schafes mit dem schwarzen Kopf und dachte bei sich, daß er durchkriechen könnte, wenn er sich auf Bauch oder Rücken legte. Er rief: »Ich bin viel zu groß für das Loch.«
    Keine Antwort. Der Wind verwehte seine Stimme; er hörte ein fernes Echo, oder vermeinte, eines zu hören. Dann legte er die Hände vor den Mund und rief: »Hallo. Hallo!« Er pfiff, als ob ihm der Hund gehorchte. Warum machte er sich eigentlich die Mühe? Der Hund da würde nicht einmal dem Hunnenkönig Attila gehorchen.
    Er ging auf die Knie und spähte durch das Loch. Keine Spur von einem Mädchen oder einem Hund. Verdammt noch mal, wo war sie? Abgesehen von dem Wind, der durch ein immergrünes Gehölz etwas weiter östlich rauschte, herrschte allumfassendes Schweigen. Die Wolken wirkten dunkler, der Himmel wurde bleicher, die Brachvögel zogen immer dichtere Kreise, wie Aasgeier, die sich niederlassen wollten. Lieber Himmel, dieses gottverlassene Moor konnte wirklich Phantasien heraufbeschwören.
    »Ich kehre um!« rief er gereizt und stieß den Stab fester in den Schnee. Warum sollte er sich weiter auf eine so sinnlose Unternehmung einlassen? Eine Strapaze war das, und was hatte er, verdammt noch mal, aus dem Kind herausgeholt? Nichts als einsilbige Antworten. Die wenigen Worte

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