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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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aufstiebte.
    »Schrecklich, ja das war’s, aber wie sollte ich Ihnen helfen können«, sagte Mrs. Holt. Ihr breitflächiges Gesicht wirkte dabei leicht gereizt. »Als ob wir damals nicht genug durchgemacht hätten.«
    Hat uns gerade noch gefehlt, daß die Polizei alles wieder ausgräbt, besagte ihr Blick. Sie hatte sich in einen tief gepolsterten Sessel Jury gegenüber gesetzt, doch ihre Augen waren nicht auf ihn, sondern auf den Aschenbecher auf dem Tisch zwischen ihnen gerichtet. Und so war der Grund für den gereizten Blick, der ihn streifte, möglicherweise doch nicht das Schicksal von Toby Holt, sondern die Zigarette, die Jury gleich beim Eintreten ausgemacht hatte. Die Art, wie sie schnüffelte, schien das zu bestätigen. Owen Holt, ein großer Mann mit kantigem Gesicht und bedrückter Miene, sah Jury ebenfalls nicht in die Augen, sondern über Jurys Schulter hinweg anscheinend aus dem Fenster.
    Als Mrs. Holt die Tür des Reihenhauses in Oakworth geöffnet hatte, hatte sie einen Overall und auf dem Kopf einen Turban getragen. In der weiß behandschuhten Hand hielt sie einen regenbogenfarbigen Staubwedel und ein Polierleder. Hätten sie nicht in dem gnadenlos aufgeräumten Wohnzimmer gesessen, wo ihr Ehemann wie ein Besucher wirkte, Jury hätte die Einrichtung für eine Schaufensterdekoration gehalten, die Passanten verlocken sollte, die dreiteilige Sitzgarnitur als Schnäppchen auf Raten zu erstehen. Das Sofa und die beiden Sessel hatten einen häßlichen bunten Bezug und Zierkissen mit Fransen, die sich mit dem blauen, rosa und gelben Zickzackmuster des Bezugstoffes bissen. Das Ganze wiederum paßte überhaupt nicht zu der altmodischen sepiafarbenen Tapete mit einem Muster kleiner Blumensträuße, von denen Bänder flatterten. Die falschen Kohlen in dem nicht zu benutzenden Kamin wirkten wie aus demselben Schaufenster stiebitzt.
    Was aber im Wohnzimmer der Holts besonders auffiel, waren nicht so sehr die sich beißenden Farben und Muster: es gab keinerlei Schnickschnack, ja nicht einmal Bilder. Nirgendwo Andenken, keine kleine Sammlung von Porzellanfiguren; keine gerahmten Fotos oder Stickereien; keine Bücher, nur ein kleiner Stapel Illustrierte auf dem Couchtisch.
    »Das Jugendamt ist vorbeigekommen«, antwortete Alice Holt zögernd auf Jurys Frage, »die haben gesagt, sie hätten da einen traurigen Fall, einen kleinen, verwaisten Jungen .«
    Sie verstummte, und ihre Hand griff, ohne daß sie sich darüber klar war, nach dem Aschenbecher auf dem Tisch. »Und weil Owen ewig am Reden war, könnte doch nett sein, so ein Kind im Haus .« Sie stand auf, um die anstoßerregende Asche wegzubringen. »Immer mit dem Mund vorneweg, aber wer hatte die ganze Arbeit?« bemerkte sie noch, und schon war sie mit dem auf Armeslänge gehaltenen Aschenbecher aus dem Zimmer.
    Entweder hatte sich Owen Holt damit abgefunden, daß seine Frau das Reden übernahm, oder er war von Natur aus schweigsam. Zu dieser Unterhaltung hatte er nur sporadisch etwas beigetragen. Jetzt aber sagte er: »Still war er. Wollten ihn auch adoptieren. Ist nicht dazu gekommen, amtlich meine ich. War aber für mich wie ein eigenes Kind.« Immer noch sah er an Jury vorbei.
    Die Standuhr tickte leise. Nun schwieg auch Jury. Dann sagte er: »Wie schrecklich für Sie beide. Und für Sie besonders, weil Sie ...« Er hatte seine Leiche sagen wollen, aber kein Laut kam über seine Lippen. Identifizieren mußten.
    Jury verlor sich in Gedanken. Wie bei einem doppelt belichteten Film legten sich zwei Bilder übereinander: das des
    Jungen in einer Kühlbox, die man aus Reihen anderer wie eine große Schreibtischschublade herauszog, und eines von ihm selbst, wie er an jenem Abend vor langer, langer Zeit in den Trümmern ihrer Wohnung auf den ausgestreckten Arm seiner Mutter, ihre geöffnete Hand und den schwarzen Samtärmel gestarrt und wie ein Wilder Putz und Holz beiseite geräumt hatte, wo doch nur immer mehr herunterfiel. Ihre Hand schien genau in der Geste zu verharren, die sie so oft machte, wenn sie die Arme nach ihm ausgestreckt hatte.
    »Ja, ja.« Holt nickte bedächtig ein ums andere Mal. »Und für Alice. Seit der Junge tot ist, ist sie andauernd am Putzen.«
    Jury schämte sich ein wenig, daß er Alice Holt so oberflächlich eingeschätzt hatte. Mit einer einzigen Bemerkung hatte ihr Mann klargestellt, wie seine Frau zum Putzteufel hatte werden können, der immer alles in Ordnung halten, alle Dinge auf ihren angestammten Platz stellen und den Kopf von

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