Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
richtete sich ihr Blick zur Decke, nicht wegen möglicher Spinnweben, sondern damit die Tränen nicht liefen - »und tot war, da hat sie alles umgewandelt. Die Stiftung nämlich. Hat gesagt, wir sollen das Geld für uns verbrauchen .«
Owen Holt schüttelte den Kopf. »So was interessiert die Polizei doch nicht.« Er sah aus, als wollte er Streit anfangen. »Das ist unsere Sache.«
Seine Frau warf ihm einen scharfen Blick zu. »Wo du fast die Hälfte versoffen hast.« Offenbar betrachtete sie Jury jetzt als Verbündeten. »Saufen und spielen, ja, das konnte er. Immer im >Schwarzen Busch< mit ’n paar Kumpels rumgehockt und Karten gespielt. Von denen hatte doch keiner auch nur ’n Pence in der Tasche, aber bei ihm nassauern, das konnten sie.«
Holt kippelte unruhig mit seinem Stuhl hin und her und schüttelte schon wieder den Kopf. »Hab ich dir nicht immer wieder gesagt, das war, weil ich irgendwie durchgedreht bin, als der Junge weg war. Als ob nicht schon lange damit Schluß wäre.«
»Ja.« Alice Holt lehnte sich zurück, legte den Staubwedel beiseite, zog den Handschuh aus und zerknüllte ihn wie eine weiße Waffenstillstandsfahne. »Soviel ich weiß.« Geschlagen, wenn auch nicht im Streit, so doch vom Leben.
Jury hatte noch immer den Hörer in der Hand.
Er starrte nun schon eine ganze Weile durch die kleinen viereckigen Scheiben in der Tür der Telefonzelle. Einige waren bereift, sechs waren gesprungen. Er hatte sie gezählt.
Als er aus dem Haus der Holts gekommen war, hatte es genieselt. Zwanzig Minuten später regnete es. Der Regen hatte gerade eingesetzt, als er die Telefonzelle betrat. Die Sprünge und der Regen verzerrten das Kopfsteinpflaster, die Steinmauer gegenüber und die Gestalten, die mit einer Zeitung über dem Kopf über die Straße huschten.
Die Nachricht im Gasthaus »Zum großen Schweigen« hatte gelautet, er möge Melrose Plant anrufen, und der hatte ihm dann erzählt, was sich zugetragen hatte.
Jury ärgerte sich über sich selbst, daß er es verabsäumt hatte, sich nach näheren Einzelheiten zu erkundigen, ehe Melrose auflegte. Mit einer Hand hielt er noch immer die Türklinke der Telefonzelle fest, so als hätte er sie gerade erst zugemacht, als wollte er erst anrufen.
Zumindest aber hatte er es geschafft, seine rasenden Gedanken, die ihm wie die verzerrten Gestalten im Regen davonliefen, so lange festzuhalten, daß er Melrose beglückwünschen konnte, weil er das kleine Mädchen von etwas weggelockt hatte, das bei ihr sicherlich ein Trauma ausgelöst hätte.
Abby, so hatte Melrose gemeint, könnte mit Traumata weitaus besser umgehen als zum Beispiel er selbst.
Jury hängte ein.
Zwei Morde in vier Tagen.
Hoffentlich hatte Nell Healey ein Alibi.
Er kam an einem guten Dutzend Polizeiautos vorbei; sie standen am Ende der Oakworth Road quer zur Straße, manche mit zwei Rädern im Graben wie aufgegebene Fahrzeuge.
Es war zwar schon Stunden her, daß Melrose Plant die nächstgelegene Polizeistation benachrichtigt hatte, aber immer noch standen zwei Wagen mit kreisendem Blaulicht auf dem Parkplatz des Gasthauses »Zum großen Schweigen«, eine gute Meile von den anderen entfernt.
»Ei, wer kommt denn da«, sagte Superintendent Sanderson huldvoll, ohne den Blick vom schneebedeckten Moor loszureißen.
»Ich bin im Urlaub, wie Sie wissen.«
»Ach nee. Der Januar ist ja auch ein beliebter Monat für Ferien in Yorkshire. Fast so beliebt wie der Lake District.« Sanderson blies die Backen auf und bemühte sich, einer kalten Zigarre etwas Feuer zu entlocken.
In der Ferne tummelten sich ungefähr zwei Dutzend von Sandersons Leuten, und das bedeutete, daß weiter weg noch mehr sein mußten, die Jury nicht sehen konnte.
Und dabei waren schon fünf Stunden vergangen.
Jury stand da und blickte in dieselbe Richtung. »Liegt das Haus der Citrines nicht irgendwo da drüben?«
»Ungefähr eine Meile von hier, Luftlinie, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Vermutlich hilft ihr ein weiterer Mord direkt vor der Haustür - wenn ich so sagen darf - auch nicht weiter.«
Sanderson nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte: »Sagen Sie es, wie Sie wollen, Superintendent.« Er sah Jury an und lächelte grimmig.
Jury ließ sich nicht abwimmeln. »Mrs. Healey ist nach dem Mord an ihrem Mann knapp am Gefängnis vorbeigekommen. Die Citrines haben Ann Denholme gekannt, und Roger Healey kannte sie auch, nehme ich an.« Er riß den Blick vom Moor los und sah Sanderson an. »Binnen vierundzwanzig Stunden
Weitere Kostenlose Bücher