Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
und sauber war. Er fragte sich, ob Millie es immer noch benutzte.
Essen. Herr im Himmel, hatte er einen Hunger! Er warf den Rucksack in die Ecke, nahm die Waffe und die Munition aus der Tasche und schob sie in den Sack. Er riß die Verpackung von einem Gurken-Käse-Brötchen auf und verschlang es in vier Bissen. Die Milch war lauwarm, aber er trank die ganze Tüte leer.
Die Milchtüte noch in der Hand, schlief er ein.
Jury mochte das Brown’s, ein Hotel, das man wegen seiner dezenten Fassade in der Straße in Mayfair leicht übersehen konnte. Es war schon immer eine begehrte Stätte für Verabredungen zum Nachmittagstee gewesen. Nun betrachtete Madeline Galloway die Lounge mit Kamin und die reiche Auswahl an Kuchen.
»Sie sehen aus wie Ihre Schwester«, sagte er.
»Das hat man uns immer wieder gesagt«, antwortete sie und bot ihm Tee an.
»Ja, bitte, den kann ich jetzt gebrauchen.«
Er wußte nicht, ob die banale Konversation, die nun folgte, ein Zeichen dafür war, daß sie dem Tod gegenüber relativ gleichgültig war, oder dafür, daß sie das Thema umgehen wollte.
Sie schenkte sich auch eine Tasse Tee ein, hielt ihm, ohne zu fragen, erneut die Kanne hin, aber Jury schüttelte den Kopf.
»Ich habe die erste noch nicht ausgetrunken.«
»Und ich habe noch nicht einmal einen Schluck genommen«, sagte sie. Und dann: »Haben Sie Jane gut gekannt?«
»Gut genug«, erwiderte er ein bißchen nervös. Es war ihm einerlei, was für Schlüsse sie daraus zog.
»Oh.« Diskreterweise betrachtete sie ihre Tasse und nicht ihn.
»Sie arbeiten sozusagen als Mr. Holdsworths Assistentin? Inspector Kamir war sich über Ihre Aufgaben in der Familie nicht ganz im klaren.«
Sie lachte, und weil sie dann vielleicht plötzlich fand, Lachen sei fehl am Platze, brach sie ab. »>Sozusagen< trifft es ganz gut. Seit Jahren schreibt Mr. Holdsworth eine Studie über die Dichter des Lake District, wobei ich nicht glaube, daß er ernsthaft an eine Veröffentlichung denkt. Da er nur schreibt, wenn er wirklich inspiriert ist, schreibt er sehr wenig.«
»Der Inspector hat gesagt, Sie hätten sich Bewerber für einen Bibliothekarsposten angesehen.«
Sie seufzte. »Nicht gerade ein Vergnügen. Wer geht schon bei dem geringen Gehalt, das Mr. Holdsworth bietet, in eine abgelegene Ecke des Lake District? Und dann noch um etwas so Langweiliges zu tun, wie Bücher katalogisieren und eine Kartei anlegen! Ich hätte mich wahrscheinlich in meiner Anzeige genauer ausdrücken sollen. Es handelt sich um eine enorme Bibliothek, vom Boden bis zur Decke nur Bücher, und selbst hoch oben auf einer Leiter komme ich an die obersten kaum heran. Er hat zuerst gedacht, ich könne das alles auch noch machen, aber nein, danke. Ich habe ihm gesagt, daß ich dazu nicht imstande sei, schon gar nicht mit den ganzen fremdsprachigen Titeln; und daß es bei meinem Tempo ewig dauern würde.«
Sie versuchten, um den heißen Brei herumzureden. Und waren sich dessen auch beide bewußt.
»Was könnte zu dem Selbstmord geführt haben? Haben Sie irgendwelche Vorstellungen?«
Madeline schüttelte den Kopf. »Nur, daß die Holdsworths sie immerzu wegen Alex unter Druck gesetzt haben. Und im Grunde war sie kein glücklicher Mensch.«
»Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Es gab Momente, da konnte sie sich ganz schön abschotten.« Er erinnerte sich daran, wie Jane immer aus dem Fenster gestarrt hatte, als ob sie auf jemanden oder auf etwas wartete. Dann war sie meilenweit von ihm entfernt gewesen. Was war es? Auf was hatte sie gewartet?
Madeline schüttelte nur den Kopf. »Sie hat ihren Sohn dermaßen geliebt - ich hätte nie gedacht, daß sie ihm so etwas antun könnte. Wenn Alex etwas zugestoßen wäre - wenn er gestorben oder jahrelang verschollen gewesen wäre -, dann hätte ich verstehen können, daß sie nicht mehr gewollt hätte. Das hätte ich verstanden. Und jetzt ist er unauffindbar.«
»Nein, unauffindbar würde ich nicht sagen. >Geflohen< trifft es wohl eher. Offenbar durch ein Badezimmerfenster.«
Ihr Lachen entspannte die Situation etwas. »Typisch Alex. Aber warum?«
»Ich weiß es nicht; vielleicht können Sie es mir sagen. Sie haben gerade gesagt, es sei typisch für Alex.«
»Ich meine nur, daß er, hm, alles mögliche anstellt.«
»Wie zum Beispiel?«
Mit ungeduldigem Schulterzucken fragte sie: »Ist das wichtig?« Sie schaute in die Teekanne, sah aus, als wenn sie nicht gefunden hätte, was sie suchte, und legte den Deckel wieder
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