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Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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den Rest angeht, ja, das ist Theater. Aber ein bißchen Spaß muß der Mensch haben, sonst wird er verrückt. Wenn das Alter einem sonst nichts zu bieten hat, sollte es wenigstens gutes Theater sein, wußten Sie das nicht?«
    »Was sind das, die >paar Dinge    »Haarbänder und Schokolade.«
    »Verdammt interessant. Hören Sie, sind Sie auch Taschendiebin?«
    Als Antwort händigte sie ihm seinen Mont-Blanc-Füller aus.
    Adam Holdsworth erstickte fast vor Lachen.
    »Dachten Sie, ich hätte für nichts und wieder nichts mit den Blumen herumgefummelt?«
    Es tat ihm verdammt leid, daß er seine Zähne nicht im Mund hatte.
    Aber er war froh, daß er seinen leuchtendblauen Pullover anhatte.
    Eines musste man Wordsworth lassen ... dachte Melrose, der im Swan saß, Kaffee trank und den Guide to the Lake District las: Der Mann wußte, worauf es ankam im Leben - er hatte einen Blick für Gasthäuser. Und beileibe nicht nur für den altehrwürdigen Swan mit den alten Balken und den bequemen geblümten Chintzsesseln und -sofas, die um einen hellodernden Kamin gruppiert waren - sondern für eine ganze Anzahl anderer. Wordsworth war zwar Abstinenzler, aber eins hatte er begriffen: Wenn die Touristen hier die Landschaft betrachtet hatten, wie er ihnen anriet, von Aussichtspunkten, die so hoch waren, daß Melrose sie nicht kennenzulernen beabsichtigte - dann waren diese Bergwanderer alle kurz vorm Verdursten. Der Dichter wies deshalb immer sehr gewissenhaft darauf hin, daß nach der einen oder anderen übersinnlichen Erfahrung des Wanderns und Schauens ganz in der Nähe ein Gasthof war, wo sie Ruhe und Stärkung fanden.
    Manche Gasthäuser nannte er mit Namen - wie zum Beispiel das Larches am südlichen Ende des Lake Windermere; aber meistens bezeichnete er sie einfach als Gasthäuser. Woher rührte bloß diese moderne englische Sitte, alle Häuser, die fürs allgemeine Publikum offen waren, »Pubs« zu nennen, überlegte Melrose. Wordsworth nannte sie »Inns«, Gasthäuser. Und so hatten sie die Angelsachsen auch genannt. Wie konnte man das White Hart in Scole oder das New Inn in Amersham oder das Old Silent in Stanbury ansehen und schnöde an Häuser für das allgemeine Publikum, an Pubs, denken? Ließ die berühmte kleine Gruppe Geschichtenerzähler den »Pub« Tabard hinter sich, als sie nach Canterbury aufbrach? Sagten die durstigen Bewohner Shropshires: »Kommt, wir gehen in den Pub?«, wenn sie Ludlows wunderhübschen Feathers, ein Fachwerkhaus, aufsuchten?
    Diese Überlegungen führten ihn zurück zu Long Piddletons altem Gasthaus, in die Büchse der Pandora, die leider seit über zehn Jahren keinen Pächter mehr hatte. Bisweilen radelte er dorthin, nahm die Fahrradklammern ab und machte einen Spaziergang, wobei er Mindy (der Hündin des einstigen Besitzers) die seltene Gelegenheit zu Leibesertüchtigungen gab. Im Winter lag der Schnee manchmal bis zu den Fenstern, im Herbst mochte ein welkes Blatt wie ein Stahlplättchen über den gepflasterten Hof gleiten. Wenn Mindy dann an den Abflußrohren und dem vertrockneten Ententeich schnüffelte, fragte sich Melrose, ob Tiere wohl Erinnerungen haben.
    Manchmal wünschte er sich, er hätte keine; aber vielleicht hatte Wordsworth doch nicht ganz unrecht. Vielleicht war Erinnern Erfinden. Oder vielleicht konnte man sich, wie Proust, der Vergangenheit ganz bemächtigen, konnte sie rekonstruieren, zurückrufen.
    Er vertiefte sich wieder in Dorothys erstaunliche Beschreibungen der nordenglischen Berghänge, der Fells, und ihre Kommentare zu Williams und ihren gemeinsamen Wanderungen. Die Schwester kürzte den Namen ihres Bruders als »Wm« ab:
    »Wm und ich kehrten von Picknick auf dem Scafell zurück ... Coleridge will Helvellyn erwandern ... Wm sehr müde.
    Ich ging mit Coleridge und Wm die Gasse an der Kirche hoch, verweilte hernach mit Coleridge im Garten. John und Wm hatten sich beide zu Bett begeben . «
    Wm, Wam... Das brummte Melrose angenehm in den Ohren, als er das Buch schloß.
    Er bezahlte die Rechnung, verließ die Gaststube und sah in einem gläsernen Schaukasten in der Eingangshalle einen Porzellanteller, um dessen Rand in schnörkeliger Schrift eine Zeile aus einem Gedicht von Wordsworth geschrieben war, eine Frage, die, wie sich Melrose vage von seiner Lektüre erinnerte, Wordsworth Coleridge oder De Quincey gestellt hatte, als sie sich auf einer ihrer Wanderungen trafen: »Wer hat nicht gesehn den herrlichen Schwan?«
    Ja, wer kannte diesen Gasthof nicht?
    Melrose

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