Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
Sessel zurückbegab.
Crabbe hatte ein kummervolles langes Gesicht, das ihm wahrscheinlich immer dann besonders zustatten kam, wenn er tatsächliches Mitgefühl im Grunde nicht aufbringen konnte. »Ich war mit den Gedanken mal wieder ganz woanders. Sie sind Mr. Plant? Was halten Sie denn von der Bibliothek?«
Der Tod (außer in der Familie Southey) barg augenscheinlich wenig Schrecken für Crabbe Holdsworth.
Während Madeline Galloway sich an den Falten ihres Rocks zu schaffen machte und innerlich schäumte, murmelte Melrose ein paar lobende Worte. Zu Begeisterungsstürmen ließ er sich nicht hinreißen. »Ich glaube, ich kann es übernehmen.«
»Schön.« Crabbe stellte den Schäfer wieder an seinen Platz. »Es ist ein großes Haus, aber ein kleiner Haushalt. Wir sind nur zu viert, meine Frau, mein Bruder, Madeline und ich.«
»Sie vergessen Adam.«
»Ach. Ja, Vater gibt es auch noch. Aber er wohnt ja nun eigentlich nicht hier, Madeline. Mein Vater ist ...« Über diesen Menschen machte er sich scheinbar tiefsinnige Gedanken und versuchte, ihn irgendwie zu beschreiben. »Eigentlich lebt er in Castle Howe; das ist ein Seniorenheim. Tarn House gehört meinem Vater, aber er findet es offenbar amüsant, ein bißchen weiter unten an der Straße in diesem überteuerten Heim zu leben.« Er ergriff wieder die Porzellanfigur. »Meine Frau würde Sie gern kennenlernen«, sagte er, als spräche er zu der Figur.
Und dann klärte sich auf einmal auf, was Melrose für Gleichgültigkeit, wenn nicht für Kaltblütigkeit gehalten hatte, als Crabbe Holdsworth sich über einen Tod von vor hundert Jahren bekümmert gezeigt hatte, obwohl er doch erst kürzlich selber mit einem besonders tragischen konfrontiert worden war: »Wir können Alex nicht finden.«
»Den Enkel meines Mannes«, sagte Genevieve Holdsworth. »Aus unerfindlichen Gründen ist er getürmt, während die Polizei versucht hat, seine Familie ausfindig zu machen. Warum in aller Welt tut er so etwas?«
Sie fragte nicht; sie überlegte nur laut und sah über ihn hinweg. Sie klang eher verärgert als besorgt.
Genevieve saß auf dem Sofa, das ihr Mann wieder verlassen hatte. Offenbar wurde Melrose der Reihe nach von der ganzen Familie interviewt. Dann sagte sie: »Zollen Sie dem Klatsch keine Aufmerksamkeit, Mr. Plant. Sie werden gewiß reichlich davon zu Gehör bekommen, falls Sie mit den Stammgästen des hiesigen Gasthauses Freundschaft schließen.«
Er fragte sich nicht nur, warum dem »Klatsch« so eine Wichtigkeit beigemessen wurde, sondern auch, warum sie so gestelzt sprach wie eine viktorianische Hausdame, obwohl sie so katzenhaft aussah. Vielleicht sollte die geschwollene Sprache eine Brücke zwischen dem hochgestochenen Verstand und der tief ausgeschnittenen Bluse bilden.
Melrose hatte sich vorher kein Bild von der zweiten Mrs. Holdsworth gemacht. Wenn er es getan hätte, hätte er eher das weibliche Pendant zum Ehemann erwartet, vielleicht etwas härter. Zumindest anständige Tweedkleidung und Gesundheitsschuhe. Statt dessen verströmte sie den puren, unverwechselbaren Duft nach Frau. Etwas merkwürdig Verführerisches lag in ihrer kühlen Redeweise, die in scharfem Kontrast zu ihrer sinnlichen Ausstrahlung stand. Sie fingerte an der kurzen Goldkette herum; der Anhänger, ein Kreuz, lag strategisch günstig im Ausschnitt ihrer Seidenbluse. Mit dem Fuß beschrieb Genevieve exakte kleine Kreise, als wollte sie die Gelegenheit nutzen, ein Bein zu drehen, das von einem Meister seines Handwerks geschaffen worden war.
Aus irgendeinem Grunde, bemerkte Melrose mit einem Lächeln, schaffte es keiner von ihnen, den Schäfer aus Staffordshire in Ruhe zu lassen. Doch während Madeline ihn nervös befingert und Mr. Holdsworth ihn geistesabwesend aufgenommen hatte, schien Genevieve mit ihm zu tändeln.
»Ich achte nicht auf Klatsch.« Weiter sagte er nichts und hoffte, daß sein Mangel an Neugierde sie veranlassen würde, sie zu stillen.
»Madeline hat Ihnen doch bestimmt von ihrer Schwester erzählt.« Mehr sagte auch sie nicht.
»Mein Beileid.« Diese Tragödie hätte er kaum als »Klatsch« bezeichnet.
»Ja. Ihr Tod war ein großer Verlust.« Als sie sich erhob, tat Melrose es ihr gleich. »Wir essen um neunzehn Uhr dreißig zu Abend.« Mit den Gedanken beim Abendessen und beim Tod verließ sie das Zimmer.
Ein Neuer, dachte Millie Thale.
Jetzt war ein Neuer da. Noch ein Gedeck auflegen, noch ein Bett machen, morgens noch einen Tee ans Bett bringen.
Sie schlug
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