Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
dem Traum. Das Kartenspiel, mit Tesafilm umklebt, die öde Landschaft, die Dame, Millies Interpretation. Er erzählte ihr aber nichts von der Waffe.
»Laß uns ein bißchen gehen«, sagte sie. »Dann kann ich besser nachdenken.«
»Verirren wir uns dann?« Er versuchte zu lächeln.
»Wir haben uns schon verirrt.« Sie vergrub die Hände in den großen Taschen ihres weißen Kittels.
»Eine trostlose Landschaft vor einem wunderschönen Horizont: Himmel und Hölle vielleicht«, kommentierte sie.
»Das mit dem Kartenspiel verstehe ich nicht.«
»Du bist doch ein echter Zocker, Alex.« Sie lächelte. »Hab ich jedenfalls gehört.«
»Jetzt vergleichen Sie mich aber nicht mit dem Pfarrer und Mrs. Bradshaw. Die schlage ich mit verbundenen Augen.«
Sie drehte sich um und sah ihn an. »Das hast du doch schon.«
»Sie konnten nicht zählen. Aber die Karten in dem Traum -«
»Bedeuten mehr, ich weiß.« Dr. Viner schwieg eine Weile und verlangsamte ihren Schritt. »Was für Assoziationen hast du?«
»Keine. Nichts.«
»Das ist aber unmöglich. Dein Kopf kann nicht völlig leer sein. Betrachte es von einem anderen Standpunkt aus. Zum Beispiel könnte eine Karte einen Menschen symbolisieren. Ein Kartenspiel könnte dann eine Gruppe deiner Freunde sein, Betrüger, so was in dem Dreh. Ich sage das nur als Beispiel.«
»Ein Kartenhaus?«
Sie sagte nichts, ließ ihn den Vorschlag überdenken.
»Meine Familie. Nehmen Sie Mum weg, und das ganze Ding fällt in sich zusammen. Als wäre sie das Fundament.«
»Und? Paßt das? Es ist dein Traum.«
»Nein.«
Sie blieb abrupt stehen. Sie waren an einer anderen weißen Bank, oder vielleicht war es dieselbe. Woher sollte er das wissen?
»Glauben Sie, es ist wichtig?« fragte er.
»Ich weiß, daß es wichtig ist.«
»Warum?«
Jetzt gingen sie durch einen anderen Durchgang und landeten am Ende einer Sackgasse aus Buchsbaumhecke.
»Es geht um das, was fehlt.«
»Was meinst du?«
»Aus Mums Zimmer. Etwas hat gefehlt. Was immer es ist, es hat sich mir eingeprägt und sich in die Karten verwandelt. Jemand hat mich an den Film Ich kämpfe um dich erinnert. Wo ein Rad im Traum in Wirklichkeit ein Gewehr ist.«
Sie lächelte. »Den hab ich gesehen. Ingrid Bergman löst das Rätsel. Ich wünschte, ich wäre Ingrid Bergman.«
Alex brach einen Zweig aus der Hecke. »Ach, als Dr. Viner sind Sie doch auch schon schwer in Ordnung.«
»Besten Dank. Wem hast du den Traum noch erzählt?«
»Wem?«
»Du hast gesagt, jemand hätte dich an den Film erinnert.«
»Oh, Millie. Sie liebt Filme.« Vielleicht würde sie es merkwürdig finden, daß er ihn dem neuen Bibliothekar erzählt hatte, einem vollkommen Fremden. »Jede Nacht träume ich den Traum. Irgendwann wird es mir einfallen.« Sie waren wieder an einer dichten Hecke angelangt. »Rechts oder links?«
»Links. Ich habe diesen Irrgarten in- und auswendig gelernt. Mußte ich; die Schwestern Dunster haben hier immer Verstecken gespielt.« Als sie endlich zum Ausgang kamen, sagte sie: »Es scheint so etwas wie ein Taschenspielertrick zu sein. Oder ein guter Kartentrick?«
»Außer, daß das Spiel mit Tesafilm zusammengeklebt war. Und meine Mutter hatte was damit zu tun.« Jetzt standen sie auf dem Steinweg, wo die Schlüsselblumen und die Osterglocken begannen. »Dann flogen die Teile mit dem Wind weg.«
Sie zog die Stirn in Falten und knöpfte sich die Jacke zu, denn es wehte ein kalter Wind. Einen Augenblick sah sie in Richtung des herrschaftlichen Hauses. »Ich muß gehen. Ich seh dich heute abend beim Abendessen. Dein Urgroßvater hat mich und Lady Cray eingeladen. Ob sie wohl im Lieferwagen entkommen oder einfach durch die Haustür gehen?« Sie lachte und ging weg.
Er sah ihr nach und dachte immer hoch an den Packen Karten, der dann wie Konfetti von dem wirbelnden Wind weggetragen wurde.
Und wie von selbst kam ihm der Ausdruck in den Sinn.
Ein Packen Lügen.
Lady Cray bedachte die Pille in Dr. Kingsleys ausgestreckter Hand mit einem fröhlichen, vogelähnlichen Blick. »Schlucken Sie sie doch, wenn Sie das Zeug wirklich brauchen.«
»Sehr lustig.«
»Ich soll sie nehmen?«
Er nickte.
»Warum?«
»Sie wird Ihre Nerven beruhigen.«
»Ich bin doch ruhig, fast wie im Koma.« Sie holte ihr goldenes Zigarettenetui heraus. »Da ist eine Zigarette viel besser. Bitte nehmen Sie Ihre Hand aus meinem Gesicht.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie nehmen die Pille, und dann dürfen Sie rauchen.«
»Was ist es denn? Ein
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