Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
etwas war verloren.
Er betrat den Irrgarten, lief ein bißchen darin herum und setzte sich dann auf eine der schmiedeeisernen Bänke, die in Abständen in den kleinen Nischen standen.
Das Zocken, das Pokern, die Kartentricks. Es gehörte zu einer Vergangenheit, an die er sich nur noch ganz dunkel erinnern konnte.
Er hatte sich verändert; er hatte Angst.
»Alex!«
Als er sie sah, sprang er auf, überrascht, daß sein Körper überhaupt noch die Energie hatte, sich so jäh zu erheben, und daß seine Lippen es fertigbrachten zu lächeln. Aber es gab etwas an Dr. Viner (schon immer), das sein Blut in Wallung brachte.
Als sie vom ein paar Meter entfernten Eingang auf ihn zukam, errötete er sogar. Er vergaß, guten Tag zu sagen.
»Alex.« Sie streckte die Hände aus, legte sie ihm auf die Arme, machte jedoch keine Anstalten, ihn an sich zu drücken, ihm zu nahe zu kommen. Ohne daß ihre Augen sich zu bewegen schienen, suchten sie sein Gesicht ab. Nach Zeichen. Zeichen der Anspannung, Zeichen des Kampfes.
Er behielt seine Züge mühsam unter Kontrolle. Aber als ob unter der angespannten Haut die Knochen brächen und die Muskeln erschlafften, war sein Gesicht im Begriff, wie das Gesicht eines dieser alten Menschen zu werden. Wurde es dann doch nicht. Er verzog keine Miene, sah sie nur an. Und es war nicht einfach, sie anzusehen, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte. Dasselbe sandfarbene Haar, irgendwie goldfarbene Augen. Oder haselnußbraun, das waren sie, gesprenkelt mit verschiedenen Farben - Braun, Grün, Topas, Blau. Schlimmer, sie hatte auch den freundlichen Ausdruck der Augen seiner Mutter. Kein Wunder, daß sie so enge Freundinnen gewesen waren; kein Wunder, daß Dr. Viner so eine gute Psychiaterin war.
Das alles ging Alex durch den Kopf, während er sie schließlich begrüßte und sie sich auf die Bank setzte und ihn neben sich zog. Obwohl es sich nicht anfühlte, als faßte sie ihn an. Es war eher wie eine magnetische Kraft. Er sah von ihr weg, den Blick geradeaus gerichtet, weil er einen neuen schwerkraftartigen Sog fühlte, aber als müßte er nicht nach unten, sondern zur Seite, gegen sie, fallen.
Beinahe hätte er ihr sofort die Sache mit Kingsley erzählt. Aber das ging nur die Polizei etwas an.
»Du glaubst nicht, daß deine Mutter sich selbst umgebracht hat, nicht wahr?«
Sie war so direkt. Und sie sah ihm offen in die Augen, faßte das Unaussprechliche in Worte.
»Ich mache mir auch so meine Gedanken. Ganz egal, was für Probleme sie hatte, ganz egal, ob sie depressiv war, ob die Familie sie unter Druck setzte, es ist kaum vorstellbar, daß sie das getan hat. Sie hat dich zu sehr geliebt.«
Was er sich selbst gesagt hatte, was er die ganze Zeit gewußt hatte, klang jetzt, da es von jemandem ausgesprochen wurde, so wohltuend.
»Die Polizei hat gesagt, es war eine Überdosis. Sie haben mich gefragt, wie man eine tödliche Dosis Seconal verabreichen kann, ohne daß das Opfer es merkt.« Sie sah Alex an, aber der verächtliche Ausdruck galt nicht ihm. »Als ob ihr Pathologe diese Frage nicht beantworten könnte. Ich habe ihnen gesagt, daß man doch einfach nur die Kapseln in eine Flüssigkeit entleeren müßte und daß Whisky den Geschmack überdecken würde. Und mehrere Whiskies erst recht. Sie haben sich bedankt und sind gegangen. Das heißt, nachdem sie mit Maurice Kingsley gesprochen hatten. Er sitzt ein bißchen in der Patsche«, seufzte sie.
Alex warf ihr einen schnellen Blick zu.
»Maurice ist an dem Abend nach London gefahren. Aber du hast Dr. Kingsley gerade erst kennengelernt, oder? Er kannte deine Mutter. Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, was dieser Inspector aus London glaubt. Er hat sehr wenig verraten. Ich war womöglich ihre beste Freundin; Maurice kein ganz so enger Freund, aber ein Mann. Eifersucht vielleicht. Ich glaube nicht, daß ihnen für mich ein Motiv eingefallen ist -«
»Sie?« Alex starrte sie an. »Sie sind der letzte Mensch -«
Sie lächelte. »Mit dem letzten Menschen muß man vorsichtig sein. Tatsache ist, jeder Arzt hat Zugang zu verschreibungspflichtigen Medikamenten.« Sie schüttelte den Kopf und senkte ihn dann. »Es tut mir leid, es tut mir leid, Alex.« Sie legte das Gesicht in die Hände. »Großer Gott, ich bin hier die Ärztin und weine mich ausgerechnet an deiner Schulter aus.«
Dadurch fühlte er sich aber irgendwie besser, so wie er sich oft mit seiner Mutter gefühlt hatte. Dafür wollte er ihr auch etwas anvertrauen. Er erzählte ihr von
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