Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
hatte, man kenne sie - auf den ersten Blick oder bei der ersten Berührung, es war, als begegnete man einem alten Freund.
Auf eine merkwürdige Weise war sie das ja auch, denn Alex hatte Melrose von seinem Gespräch mit ihr im Irrgarten erzählt. Daß er, Alex, ein ungutes Gefühl gehabt hatte, als sie weggegangen war. Dachte Alex, sie hätte ihn angelogen ? Nein. Na gut, hätte doch aber sein können, oder nicht? Worüber hatten sie gesprochen außer über die (für Alex absurde) Idee, daß sie verdächtig sein könnte, und über seinen Traum? Sie hatte ein Alibi, hatte Melrose Alex erzählt. Tatsächlich war sie die einzige, die wirklich eins hatte.
Melrose konnte verstehen, daß Alex sich zu Helen Viner hingezogen fühlte. Ihm ging es ja genauso. Sie war außergewöhnlich offen; sie war aufnahmebereit, ein Mensch, dem man seine Gedanken anvertrauen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß auf einen herabgesehen wurde; sie vermittelte einem nie das Gefühl, man solle mehr oder weniger oder anders sein. Die Wendung »ideale Mutter« fiel ihm ein, was ihm einen gehörigen Schock versetzte. Wie ein verspäteter Schock fühlte es sich an. Sie erinnerte ihn an seine eigene Mutter, und er schämte sich. Aber als er hinübersah und Alex’ Blick begegnete, schwand das Gefühl, und die Röte wich aus seinem Gesicht. Und Millie war auch noch da. Er wurde zornig bei dem Gedanken, daß jemand ihnen einen solchen Verlust zugefügt hatte.
Das hauchzarte Weinglas zerbrach.
Er hatte das Glas und den Stiel so fest umklammert, daß der Stiel abgebrochen war und ihm in zwei Fingern einen glatten, wenn auch nicht sehr tiefen Schnitt verpaßt hatte. So etwas war ihm noch nie im Leben passiert; er lachte, erwiderte mehreren besorgten Stimmen, es sei nicht so schlimm, und wickelte sich seine Serviette um die Finger; Hawkes wurde losgeschickt, um Pflaster zu holen; der gute alte George bellte quer über den Tisch, daß kein Tropfen Wein verschüttet worden sei - das war also seine Hauptsorge.
Sah irgend jemand außer Melrose, daß Lady Cray kreidebleich geworden war? Als ob sie alles hautnah mitfühlte, krallte sie ihre Finger so fest in den Saum des Tischtuchs, als wolle sie alles darauf Befindliche auf ihren Schoß und dann auf den Boden ziehen. Sie brauchte fast fünf Sekunden, um ihre Fassung vollständig wiederzuerlangen. Erst dann kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück, die Hand fuhr wieder quer über die Brust und ruhte auf der Schulter, um auch diese Botschaft der Vergangenheit zu übergeben.
Melrose sah, daß Helen Viner ihn anschaute, und trotz der Entfernung zwischen ihnen verstand er, was sie ihm sagen wollte. Machen Sie sich nichts daraus. Das kann jedem passieren.
Obwohl zwei Ärzte anwesend waren, genoß Genevieve es, die Krankenschwester zu spielen und ihm das Pflaster aufzukleben. Es war kaum Blut geflossen, die Schnitte waren schon fast nicht mehr zu sehen. Der kleine Unfall war vergessen, und bei Zitronensouffle und Sauternes wurde wieder Konversation gemacht.
Aber obwohl es ein ganz normales Tischgespräch zu sein schien - während der gesamten Mahlzeit hatte unterschwellig eine allumfassende Furcht geherrscht. Nicht einmal das halbe Dutzend Flaschen Wein, das sie geleert hatten, lockerte die Anspannung am Tisch.
Melrose bemerkte, daß jeder jeden beobachtete. Nur Crabbe und George fanden sich selbst interessanter als die anderen. Immer wenn Kingsley, Genevieve, Madeline, Helen Viner, Fellowes - und besonders Adam und Alex - eine Bemerkung machten, spürte Melrose eine bebende Nervosität, als sei ein ungestümer kleiner Funken von einem brennenden Scheit auf den Teppich gefallen und hätte sie alle entzündet und als bedürfe es einer weiteren Anekdote von George oder Crabbe, um das Feuer zu löschen.
Natürlich wurden viele Nichtigkeiten ausgetauscht, um von der Tatsache abzulenken, die allen auf der Seele lag; sie waren zu elft, eine ungerade Zahl; sie hätten zwölf sein sollen; Jane hätte dasein müssen.
Wenn er den Blick von Alex zu Adam und dann zu Lady Cray schweifen ließ, erwiderten sie ihn. Ganz, ganz leicht nickten sie. Melrose hätte schwören können, daß die drei in heimlichem Einverständnis miteinander standen.
Banquos Geist konnte jeden Moment erscheinen und das Kartenhaus zum Einstürzen bringen.
Nach dem Essen, im Salon, mußte er sie nicht erst von Kaffee, Portwein und Walnüssen loseisen. Helen Viner kam zu ihm, zu seinem großen Glück, wie er fand.
Sie stellte es sehr
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