Grimes, Martha - Mordserfolg
Metalltischchen aufgestellt hatte, an denen im Sommer manchmal Touristen saßen, die sich in Greenwich Village wähnten. Die Stammgäste von Swill’s reagierten mit Verachtung, ja beschwerten sich, die Tische passten überhaupt nicht zum Ambiente im Inneren des Lokals. Ganz besonders verabscheuten sie die Espressomaschine, die vor allem für die draußen sitzenden Gäste aufgestellt worden war. Was das Ambiente betraf, so meinte der Besitzer (ein gewisser Jimmy Longjeans), er glaube inzwischen nicht mehr, dass weniger mehr sei, nachdem er sich all die Jahre mit den Stammgästen hatte herumschlagen müssen, bei denen weniger tatsächlich auch weniger war.
Bei Swill’s handelte es sich um eine ziemlich abgetakelte Arbeiterpinte, deren einziger Schmuck aus einem Schwung Bierreklameschilder bestand, die wie Schiffswappen in einer Reihe über dem langen Spiegel hinter dem Tresen hingen. Der Tresen selbst hatte eine kupferne Oberfläche und war gleichermaßen schön und ungewöhnlich. Sonst gab es nichts Erwähnenswertes, denn das übrige Interieur bestand aus ganz gewöhnlichen Holznischen und Tischen und einem Sammelsurium von Stühlen, die gar nicht zueinander passen sollten und deshalb für chic gehalten wurden.
Man war eben in Chelsea und nicht im Village. Allerdings fand Ned, dass nicht einmal Greenwich Village noch das echte Village von damals war. Vor dreißig, vierzig Jahren hätte man im alten Greenwich Village in einer wahren Flut von Schriftstellergesprächen eintauchen können. MacDougal Street. Greene. Houston. Swill’s wurde von zahlreichen Romanautoren und Dichtern frequentiert, ein paar Malern und jenem Unbekannten, der ständig »A Garden in the Rain« spielen ließ. Swill’s besaß nämlich noch eine Jukebox im Stil der fünfziger Jahre mit einer Fülle von Sängern aus den Vierzigern und Fünfzigern. Hier hatte Johnnie Ray seinen großen Auftritt, wenigstens für die Schriftstellerin, die immer und immer wieder »Cry« spielen ließ.
Swill’s hatte seine festen Stammgäste, aber die hat jede Bar, die auch nur fünf Minuten täglich geöffnet hat. Es hatte nichts mit Anhänglichkeit zu tun, sondern mit Gewohnheit. Trotzdem beklagten sich die, die schon seit Jahren herkamen, gern über die Neuzugänge. In letzter Zeit, im Lauf des letzten Jahres ungefähr, waren nach fünf Uhr Männer in Anzügen und mit Aktentaschen in der Hand aufgetaucht, mal allein, mal in Begleitung von Frauen in Hosenanzügen und mit Aktentaschen in der Hand. Die Stammgäste wussten nicht, wer sie waren oder warum sie hierher kamen, als sei der Zutritt nur auf persönliche Einladung von Jimmy Longjeans gestattet, dem es sowieso egal war, so lange man seine Zeche bezahlte.
Irgendwie hatte es sich herumgesprochen, dass Saul Prouil für ein einziges Buch alle diese Preise gewonnen hatte und damit möglicherweise der einzige Schriftsteller war, der dies je zu Lebzeiten geschafft hatte. Man wusste, dass der Tisch vorn am Fenster Sauls Tisch war und, in seiner Eigenschaft als Schriftsteller und Freund, auch Neds Tisch und darüber hinaus der von Sally. Sally arbeitete als Assistentin von Neds Lektor bei Mackenzie-Haack. Seltsamerweise hatten sie sich aber nicht dort kennen gelernt. Saul, Ned und Sally waren sich in dem kleinen Park begegnet, als bei einem kräftigen Windstoß eine Seite von Neds Manuskript davongesegelt war und die entgegenkommende Sally im gewagtesten Sprung, den man je gesehen hatte, die Seite aufgefangen hatte.
Ab und zu kam jemand mit einem Exemplar des neun Jahre alten Buchs an ihren Tisch geschlurft und bat Saul um ein Autogramm. Die meisten Leute hier hatten noch nie im Leben ein Buch ganz durchgelesen und betrachteten derartige intellektuelle Anwandlungen größtenteils mit tiefem Argwohn. Aber einen mit Preisen ausgezeichneten Schriftsteller in ihrer Bar zu haben, einen, den sie mit einem gewissen Besitzerstolz betrachteten, nun, das war etwas anderes. Auf diese Weise hatte Saul eine gewisse Swill’sche Berühmtheit erlangt.
Dann gab es noch die anderen Autoren, von denen aber keiner so bekannt wie Saul war, die meisten hatten noch nicht einmal etwas veröffentlicht, zumindest nicht in Buchform. Drei davon waren Dichter: b.w. brill (der Großbuchstaben rundweg ablehnte, ganz wie einst e.e. cummings, dem er aber überhaupt nicht ähnelte), ferner Alison Andersen und John Laughlin. b.w. brill hatte tatsächlich schon ein eigenes Buch herausgebracht und einen relativ unbekannten Preis gewonnen. Vor dem
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