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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Muskelkater von der gestrigen Belastung schleicht durch meine Beine. Deswegen wäge ich den Vorschlag ab. Ich komme zu keinem Ergebnis.
    Jürgen ergreift das Wort.
    »I gäh eh nauf. Muass a båår Haken oleng. Kummts mit, kriagts aa an guaden Preis. Wissts wås, trågts ma jeder a båår Haken und Seile nauf, dann führ i eing umasunst.«
    Führung umsonst, diese Blitze konnte ich ausmachen aus dem Sprachgewitter. Der Rest war grollender Donner. Polternd. Unverständlich.
    Ich bin mir unsicher, will eigentlich wenig marschieren, dann unser eigenes Lager aufbauen, ohne dem Tempo oder der Richtung eines im Stein geborenen Einheimischen folgen zu müssen, der noch dazu eine Arbeit zu verrichten hat, die ihm ein Kletterverein oder eine Bergwacht auferlegt hat. Mein Kamillentee rumort in meiner Darmgegend, als wäre er Borscht. Mit zerknautschtem Gesicht sage ich:
    »Wir sind zum Arbeiten hier, Olsen.«
    Der Angesprochene hat ein halbes Brötchen mit sechs Scheiben Jagdwurst, einer Ecke Camembert, einer Scheibe Räucherlachs, zwei Scheiben Gurken, einer Scheibe Tomate und Meerrettich zwischen den Kauleisten. Dennoch drückt sich durch das Gemalme folgende Antwort:
    »Jofeph. Wi find hier, um Eindücke fu fammeln. Ürgen meint, daf werdn wi nie vergeffen. Den Aufblick und fo.« Ei fliegt aus dem Mund.
    Ich blicke Jürgen an, der mich stupide angrinst und mit gehobenen Augenbrauen nickt. Überzeugung sieht anders aus. Immerhin regt sich eine gewisse Neugier in mir.
    »Was ist das für eine Führung, wie Sie sagen?« Ich frage lieber mal nach, bevor dieses Gespräch in Abseilungen an der Höllentalklamm endet.
    »Såg DU zu mir. I bin da Juagn. Des is bloß a kloana Klettasteig. Nix wuids. Åiso, auf gäht’s. In a Håibnstund draußd.«
    Jürgens rote Mammutjacke entfernt sich von unserem Tisch. Ebenso mein Glaube an seine beruhigenden Worte.
    »Nix wuids«, wiederhole ich ungläubig und logischerweise in fürchterlichem Bayrisch. Mein starrer Blick ist auf die Fettaugen von Olsens Jagdwurst gerichtet. Auge um Auge…
    »Wir werden sterben.«
    Ich habe kein gutes Gefühl.
    Olsen macht sich zufrieden und voller Tatendrang über seine Wurstplatten her.
    »A Schmarrn!«
    Das war gutes Bayrisch seitens Olsen.
    Ich begebe mich ans Buffet und hole meinerseits 250 Gramm Jagdwurst – gegen den möglichen Hungerast beim Aufstieg.
    Zwei Stunden später liegt mir der Fettbrei wie ein U-Boot im Magen. Die immer wieder ausgestoßene Luft stinkt nach Wurst und Kaffee. Olsen ist grün im Gesicht und zittert in seiner an einem schmalen Grat kauernden Position. Jürgen ist einige Meter weiter oben und erneuert im Klettersteig Stahlseile und Haken, die wir ihm hier hochgetragen haben.
    »Daf werdn wi nie vergeffen«, äffe ich Olsen nach, der mich mit dieser, angeblich von Jürgen ausgesprochenen Überredungskunst von diesem Höllentrip überzeugt hatte. Olsen hört nicht, er kotzt wieder mal. Nicht zum ersten Mal bringt er nun schon Mageninhalt in die entgegengesetzte Richtung zum Austreten. Aber bitte, kein Mitleid, selber schuld.
    »Du Penner!«, raune ich ihm zu.
    Kurz ist es still, von weiter oben höre ich Jürgen rufen.
    »Bringts ma no a båår Haken, hearts es?«
    Olsen explodiert. Seine Stimme überschlägt sich.
    »Du kannst uns am Arsch lecken, du beschissenes Führerschwein!«
    Olsen weint. Er hat wirklich Angst abzustürzen. Ich versuche ihn zu beruhigen. Er wimmert nur »Wir werden sterben«, aber ohne mich nachzuäffen.
    Schwindelfreiheit, Trittsicherheit, Klettererfahrung.
    Drei Komponenten, die man auf diesem Klettersteig dringend benötigt. Ferner die Hilfe von Seilen, Karabinern, Haken und Ösen, die in Fels und Stein geschlagen sind. Olsen kauert an einem schmalen Grat und presst sich wie eine »Blaue Mauritius« gegen den glatten Felsen. Hinter ihm geht es steil bergab. Ich sitze drei Meter über ihm auf einem Felsvorsprung. Der Blick in die Tiefe ist beängstigend. Ich habe keine Ahnung, wie wir es bis hierher geschafft haben. Aber noch weniger weiß ich, wie wir wieder von diesen steilen, unzugänglichen, tödlichen Pfaden unverletzt beziehungsweise lebend nach unten kommen sollen.
    »O Gott, Joseph, siehst du den Mann da unten.«
    »Was, Olsen?«
    Olsens Stimme und Körper zittern und schwanken. Verdammt, ich fürchte, er verliert die Kontrolle.
    »Der Mann da unten.«
    Ich versuche, meinen Blick an Olsen vorbei hinabgleiten zu lassen. Keine Menschenseele in Sicht.
    »Olsen, da ist niemand.«
    Olsen schaut nach

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