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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Komplimente ins Ohr.
    Es kitzelt im Bauch.
    Anarchie und Wohlbefinden kreisen durch seine Innereien und zaubern ihm ein Lächeln auf den Ketchupmund.
    Er isst mit den Fingern, warum auch nicht? Und trinkt ein Bier aus der Büchse, auf der sich ein schäbiges Brauereiwappen um Qualitätsvermittlung bemüht. Mit seinem modischen Auftreten, dem mittlerweile dem Tagesverlauf entsprechend zerzausten Aussehen und diesem Menü, das er zu sich nimmt, fügt er sich in die Imbissstandklientel nahtlos ein.
    Aus Gründen der kulinarischen Überzeugung bestellt er eine weitere Wurst, Zeit hat er ja noch ein wenig. Von hier aus überblickt er bestens das Terrain. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Gasthaus »Semmelmayer«, daneben die »Rosenapotheke«, dann, etwas nach hinten versetzt, »Chic«, der Modeladen für ältere Frauen, an dem seitlich die Eckturmgasse vorbeiführt, wieder vorne an der Straßenzeile der türkische Laden, welcher keine Wünsche offenlässt. »Bütün« – Alles – so steht es über der Eingangstür. Vom Haarföhn bis zum Kinderkeyboard, von Autoreifen bis zu Hostien, und das in einem islamisch geführten Geschäft. Hier hat Locher auch den Sprengkörper erstanden. Dort angrenzend in rotem Backstein »Ernas Blumenladen« und daneben dann »Sunny Side Up«. Das Sonnenstudio der Stadt. Man kommt als Geist und geht als Brauner. Eine Zehnerkarte kostet 35, ein Jahresabonnement 280 Euro. Hurra. Haut wie Bronze, so erhaben wie Ben Hur, so fein wie helle Schokolade. Und vereinzelt ein wenig Hautkrebs. Verteilt wie Rosinen in einer Trauben-Nuss-Schokolade. Das ist das »Sunny Side Up«. Dem ist zur Rechten der Seconhand-Plattenladen »Wundertüte« zugeteilt. Vor diesem steht heute in sexy, hautenger Lackmontur Shakira. Leider nur aus Pappkarton, aber immerhin in Lebensgröße. Sie wartet, bis ihr ein schönes Plätzchen im sehr engen Auslagefenster der Wundertüte zugeteilt wird. Sicher, an der breiten Masse darf man nicht vorbeizielen, deswegen auch Shakira, Madonna und Rihanna im Angebot, aber die »Wundertüte« wartet zu Lochers Wohlbefinden auch mit feinstem Rare Groove und exzellenten Jazzsammlungen auf. Auf Vinyl wie auf CDs. Und als hätte die Dramaturgie persönlich das Drehbuch geschrieben, so schallt aus der offenen Ladentür die Filmmusik zu Lochers Treiben, quer über die Straße zur Wurstbude, direkt in Lochers Ohr. Andrew Hills »Hope«. Ein Lied seines 1966 aufgenommenen, verwegenen Freejazzalbums Change mit der Songliste »Violence«, »Pain«, »Illusion«, »Hope«, »Lust«, »Desire«. Ein Stück Querulantenmusik, wie es Locher nicht besser auf den Leib geschneidert, besser, komponiert hätte werden können. Ja, ist dies nicht die Legitimation zum Rundumschlag für Jazzfreund August Locher? Er musste »Gewalt« und »Schmerz« über sich ergehen lassen, nun klammert er sich an die »Hoffnung«, sein Leben zu verändern. »Veränderung«, wie das Album sagt, und dazu verspürt er eine enorme »Begierde« und ein brennendes »Verlangen«.
    Und um den Bogen zu schließen, steht auf Shakiras Pappaufsteller der Titel ihres 2010 erschienenen Albums »Sale el sol«, die Sonne kommt raus. Perfekt wäre jetzt natürlich gewesen, würde ihr Album »Sunny Side Up« heißen. Tut es aber nicht.
    Die Besitzerin des »Sunny Side Up« heißt Gundis Ayala, Spanierin, Exporteurin der iberischen Sonne in Form von UV-Strahlenquellen, erstaunlich blass für ihre Position, wahrscheinlich kennt sie die Risiken dieser Hautkrematorien sehr genau. Ihre Frage ist erlaubt, warum heißt das Sonnenstudio einer heißblütigen Spanierin nicht Todo Sol oder O sole mio oder Banca del Sol oder (S)Olé oder gar Sale el Sol? Aber nichts da, »Sunny Side Up«. Die Sonnenseite nach oben.
    In dieser spanischen Sonnenbank räkelt sich auch regelmäßig die Cernak. Auch im Sommer. Obwohl die naturgegebenen Bräunungsmöglichkeiten zu dieser Jahreszeit täglich abrufbar wären. Was animiert Menschen dazu, sich neben der Freibadbräune nach künstlicher Farbveränderung zu sehnen? Der Doppeleffekt? Das Surren der Solarien? Wie auch immer: Die Cernak liebt es. Auch im Sommer. So wie heute. Jeden Donnerstag nach der Arbeit.
    »Noch ’ne Wurst?«
    »Nein«, entgegnet Locher dem launischen Budenbesitzer, der sich Franz Klammer nennt, aber mit dem österreichischen Skifahrer nichts gemein hat. »Danke. Ich zahle.«
    Locher kippt sich genussvoll den letzten Schluck Bier in die Kehle, während er mit der anderen Hand das

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