Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Osten, und die Wolken jagten über den Himmel, als wollten sie an einen fernen, unbekannten Ort fliehen.
Als sie alles zum Aufbruch vorbereiteten und Weynelle und Salietti ihre wenigen Habseligkeiten in die ledernen Satteltaschen packten, nahm Grimpow ein langes, scharfes Messer vom Küchentisch.
»Wozu brauchst du das Messer?«, wollte Humius wissen.
»Falls uns die Soldaten des Inquisitors noch einmal begegnen, so soll es sie teuer zu stehen kommen, wenn sie mir die Kehle durchschneiden wollen wie einem wehrlosen Schaf«, scherzte Grimpow.
Salietti hob den Blick und musterte den Jungen belustigt. »Wenn wir unser Leben von deinen Fähigkeiten im Umgang mit dem Messer abhängig machen, dann ist unser Schicksal wohl besiegelt. Nimm lieber deinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen mit«, sagte er lachend.
»Ich will dafür sorgen, dass mich wenigstens einer der Bluthunde auf meine letzte Reise begleitet«, gab Grimpow mit grimmiger Miene zurück.
Alle brachen in schallendes Gelächter aus.
Da betrat Manele den Hof. »Die Gefahren, die ihr noch zu bestehen habt, scheinen euch ja mächtig Vergnügen zu bereiten«, sagte sie, leicht verunsichert über die kindliche Ausgelassenheit ihres Mannes.
»Mein geliebtes Weib, lieber lache ich tausendmal über das Leben, als dass es einmal über mich lacht und mich mit dem kalten Lächeln des Todes schminkt«, erwiderte der Medikus, ging auf seine Frau zu und küsste sie sanft auf die Stirn.
»Du brauchst das Messer nicht«, sagte Salietti und warf Grimpow den Dolch zu, den ihm Drusus im Wald von Opernaix entwendet hatte.
»Du hast den Dolch wieder!«, rief der Junge verblüfft.
»Wie könnte ich zulassen, dass eine Waffe, die meinem Vater gehört hat, in Händen eines Mörders bleibt.«
»Soll das heißen, dass der Räuber auch bei der Schlacht dabei war?«
»Ja, er war unter den Söldnern, die die Schießscharten eingenommen haben. Als ich ihn gegen Valdigor de Rovol kämpfen sah, habe ich verlangt, dass er den Dolch herausgab, mit dem er sich verteidigte. Immerhin hatte er mir versprochen, ihn zurückzugeben, wenn ich dem Baron seine Nachricht überstelle. Aber er hat sich erdreistet vorzubringen, wir würden nicht auf derselben Seite kämpfen, wenn ich ihn haben wolle, dann nur über seine Leiche. Genau so war es dann.«
Nachdem sie ihr bescheidenes Hab und Gut untergebracht hatten, sattelten sie im kleinen Stall des Medikushauses die Pferde und schnallten ihnen die Satteltaschen und mehrere zusammengerollte Decken auf den Rücken. Dann sagten sie Humius und Manele Lebewohl. Die beiden Alten gaben ihnen den Rat mit auf den Weg, sich vor den Feinden der Weisheit in Acht zu nehmen, und wünschten ihnen alles erdenkliche Glück des Himmels und der Sterne auf ihrem sichtbaren Weg, um endlich das Geheimnis der Weisen zu lösen.
Sie verließen die Stadt in südwestlicher Richtung und hatten schon bald das Südtor von Metz hinter sich gebracht. Eine grüne, von rotem Klatschmohn gesprenkelte Ebene breitete sich vor ihnen aus und endete erst am Horizont in einer gezackten Bergkette.
Sie kamen zügig voran, obwohl Saliettis Verletzungen noch nicht abgeheilt waren und er beim Reiten ein Stechen wie von Dutzenden Nadeln am Hals verspürte. Trotzdem hatte er die Reise nach Paris nicht länger hinauszögern wollen. Denn die Schlacht gegen die Burgen des Steinkreises war geschlagen und das Kriegsvolk des französischen Königs würde schon bald in der Stadt seines Herrschers zurück sein, um mit Paraden, Gejohle und Trinkgelagen in den Straßen seinen Sieg zu feiern.
Aber für Salietti stand fest, dass es für König Philipp IV. auch diesmal nichts anderes zu feiern gab als ein grausames Gemetzel. Denn sein Bluthund Burumar de Gostelle würde ohne die Schätze und den gesuchten wunderkräftigen Gegenstand aus der Schlacht heimkehren. Nur Letzterer konnte dem König aber die heiß begehrte Unsterblichkeit verleihen, die ihm der Dominikaner versprochen hatte, um den Fluch des Templers abzuwenden. Was für ein sinnloses Blutvergießen in diesem vollkommen sinnlosen Unterfangen, dachte Salietti bei sich, als sie am frühen Nachmittag die Umgebung von Verdun erreichten.
Sie hatten beschlossen, ihren Weg abseits von Dörfern, Gehöften und Städten zu suchen und sich von den Strecken der Händler, Mönche, Pilger, Bettler und Räuber fernzuhalten, die im Frühjahr aus dem nördlichen Elsass nach Paris zu wandern pflegten. Ihr Leben und ihre geheime Mission wollten sie nicht
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