Grimwood, Ken - Replay
Schuß Myer’s Rum hinzu. In der Nacht war frischer Schnee gefallen, fünfzehn Zentimeter oder mehr; eine Schneeverwehung verdeckte bereits die untere Hälfte des Küchenfensters. Er sollte ihn am Nachmittag wirklich wegschaufeln, dachte er. Und es war an der Zeit, daß er zu dem Lagerschuppen hinausging, einen neuen Stapel Zedernholz zum Ofenanzünden spaltete und weiteres weißes Eichenholz zur Hinterveranda schleppte. Aber ihm war nicht danach zumute, irgend etwas davon zu tun, zumindest nicht gerade jetzt.
Vielleicht war er immer noch anfällig für die allgemeine Malaise, welche die Welt in der Woche des Horrors von Jonestown immer packte, auch wenn er die Enthüllung dieser widerlichen Geschichte bereits dreimal erlebt hatte. Woran es auch liegen mochte, alles was er heute tun wollte war, neben dem prasselnden Holzofen zu sitzen und zu lesen. Er hatte den zweiten Band von Hannah Arendts Vom Leben des Geistes zur Hälfte durch und plante die erneute Lektüre von Der ferne Spiegel. Beide Bücher waren soeben erschienen, aber er hatte zuerst das Buch von Barbara Tuchman gelesen, vor zwanzig Jahren, in dem Sommer, als er mit Judy und den Kindern mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch Sowjetasien gefahren war. Schon der Anblick des Buchumschlags brachte die Erinnerungen an die weite Steppe zurück, die Unermeßlichkeit der silbernen Birken jenseits von Nowosibirsk und die Begeisterung der kleinen April angesichts des alten gelben Samowars auf dem Korridor ihres Eisenbahnwaggons. Die Schaffnerin hatte den Samowar mit kokelnden Torfbrocken am Kochen gehalten, hatte während der Sechstausendmeilenreise von Moskau nach Khabarowsk im Norden der Mandschurei unaufhörlich Gläser heißen Tees daraus serviert. In die Metallhalter für die Gläser waren Bilder von Kosmonauten und Sputniks eingraviert gewesen. Am Ende der Reise hatte die Schaffnerin April zwei davon als Souvenir geschenkt. Jeff sah in der Erinnerung seine Adoptivtochter vor dem Kamin in dem Haus an der West Paces Ferry Road in Atlanta liegen und an einem Glas heißer Milch in einem dieser Halter nippen, nur eine Woche, bevor er gestorben war…
Er räusperte sich, zwinkerte die Erinnerungen weg. Vielleicht wäre es am besten, sagte er sich, wenn er heute ein paar unangenehme Arbeiten erledigte, sich selbst körperlich beschäftigt hielt, anstatt bloß in der Hütte herumzusitzen und nachzudenken. Es würde jetzt im Winter sowieso noch genug solcher Tage geben.
Jeff spitzte die Ohren, glaubte einen Motor gehört zu haben. Nein, das konnte nicht sein. Niemand wäre verrückt genug, sich vor dem Frühling hier herauszuwagen, es sei denn, Jeff setzte über sein Kurzwellengerät einen Notruf ab. Aber da war es wieder, bei Gott, ein Heulen und ein Dröhnen, lauter, es hörte sich an, als käme jemand direkt seine Straße entlanggefahren.
Er zog einen Daunenparka an und setzte eine Wollmütze auf, trat ins Freie. Gab es drüben bei den Mazzinis irgendwelche Probleme? War jemand krank oder verletzt, brannte es vielleicht?
Ein Schimmer des Wiedererkennens durchfuhr ihn, als der dreckbespritzte Land Rover einen harten Schwenk nach links durch sein offenes Tor machte; dann sah er das glatte blonde Haar der Fahrerin, und er wußte Bescheid.
»Morgen«, sagte Pamela Phillips, indem sie einen gestiefelten Fuß auf das Trittbrett des robusten vierradangetriebenen Wagens schwang. »Eine Scheißzufahrt, die du da hast.«
»Gibt gewöhnlich nicht viel Verkehr hier.«
»Überrascht mich nicht«, sagte sie und sprang herunter. »Sieht so aus, als wäre irgendein armer Teufel mit seinem Wagen auf eine Landmine gefahren, vor langer Zeit.«
»Ich hab’ sagen hören, es sei ein Mann namens Hector gewesen, George Hector. Er hatte während der Prohibition eine transportable Destille auf diesem T-Modell montiert, fuhr damit von einem Ort zum andern, damit er nicht erwischt wurde. Eines Nachts ging sie hoch.«
»Was war mit Hector? Ging er mit ihr zusammen hoch?«
»Er war offenbar unverletzt. Mußte eine neue Destille bauen, aber er gab die Idee von der Transportierbarkeit auf. Wenigstens erzählt man sich das.«
»Soviel zum innovativen Denken, hm?« Sie atmete tief die saubere, kalte Bergluft ein, stieß sie langsam wieder aus und sah ihn an. »Also schön. Wie ist es dir ergangen?«
»Es ging. Und du?«
»Ziemlich beschäftigt, seit wir uns zum letztenmal sahen. Das war… Gott, vor dreieinhalb Jahren.« Sie rieb ihre Hände heftig aneinander. »Hey, gibt es
Weitere Kostenlose Bücher