Grischa: Goldene Flammen
Palast?«, fragte er.
Ich schaute erst ihn an, dann die üppig verzierte Fassade. Ein so gewaltiges Gebäude hatte ich noch nie gesehen. Auf den Terrassen standen unzählige Statuen, und die Verzierungen an den Fenstern, die sich in jedem der drei Stockwerke aneinander reihten, schimmerten golden. Wahrscheinlich war es echtes Gold.
»Ich finde ihn sehr ⦠prächtig«, antwortete ich vorsichtig.
Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er mich ansah. »Ich finde ihn unglaublich hässlich«, sagte er und trieb sein Pferd wieder an.
Wir folgten einem Pfad zur Rückseite des Palastes, ritten an einem aus Hecken bestehenden Irrgarten vorbei, an einer weiten Rasenfläche, in deren Mitte ein säulengeschmückter Tempel stand, und an einem riesigen Gewächshaus mit beschlagenen Glasscheiben. Wir durchquerten ein weitläufiges, dichtes Gehölz auf einem Pfad, über dem sich die Ãste der Bäume zu einem Dach verschlangen.
Auf meinen Armen sträubten sich die Härchen. Wie bei der Ãberquerung des Kanals hatte ich auch jetzt das Gefühl, eine Grenze zwischen zwei Welten zu überschreiten.
Als wir aus dem Gehölz in den fahlen Sonnenschein ritten, erblickte ich einen sanften Hang und dahinter ein Gebäude, wie ich noch nie eines gesehen hatte.
»Willkommen im Kleinen Palast«, sagte der Dunkle.
Das war ein seltsamer Name. Der »Kleine« Palast war zwar bescheidener als der GroÃe Palast, aber immer noch riesig. Er erhob sich mit seinem Gewirr aus dunklen Holzmauern und goldenen Kuppeln inmitten der Bäume wie aus einem Zauberwald. Im Näherkommen sah ich, dass er über und über mit kunstvollen Schnitzereien von Vögeln und Blumen, verschlungenen Reben und magischen Ungeheuern verziert war.
Auf der Treppe erwarteten uns Diener in dunklen Gewändern. Als ich absaÃ, eilte einer herbei, um sich meines Pferdes anzunehmen. Andere Helfer öffneten derweil eine schwere Flügeltür. Beim Durchschreiten konnte ich dem Drang nicht widerstehen, die kostbaren Schnitzereien zu berühren. Die Intarsien aus Perlmutt erglänzten im frühen Morgenlicht. Wie viele Hände und wie viele Jahre hatte es gebraucht, um so etwas zu erschaffen?
Wir gingen durch eine Eingangshalle und betraten einen groÃen, achteckigen Saal, in dessen Mitte vier lange Tische in einem Quadrat aufgestellt worden waren. Unsere Schritte hallten auf dem SteinfuÃboden. Unfassbar hoch über uns schwebte eine Kuppel aus massivem Gold.
Der Dunkle zog eine Dienerin beiseite, eine ältere Frau in aschgrauem Gewand, und sprach im Flüsterton mit ihr. Dann verneigte er sich kurz vor mir und ging durch den Saal davon, gefolgt von seinen Männern.
Ich spürte einen Anflug von Verärgerung. Seit dem Abend in der Scheune hatte der Dunkle nicht mehr mit mir gesprochen und er hatte mich auch nicht auf das vorbereitet, was mich nach unserer Ankunft in Os Alta erwarten würde. Da mir sowohl die Kraft als auch die Nerven fehlten, ihm nachzulaufen, folgte ich der Frau in Grau gehorsam durch eine weitere Flügeltür in einen der kleineren Türme.
Beim Anblick der unzähligen Stufen wäre ich fast weinend zusammengebrochen. Vielleicht sollte ich einfach darum bitten, hier unten im Saal bleiben zu dürfen, dachte ich niedergeschlagen. Trotzdem griff ich nach dem mit Schnitzereien verzierten Geländer und schleppte mich die Treppen hinauf. Mein steifer Körper protestierte bei jedem Schritt. Oben angekommen hätte ich mich am liebsten hingelegt und den Aufstieg mit einem kurzen Nickerchen gefeiert, aber die Dienerin war schon auf dem Weg den Flur entlang. Wir kamen an zahllosen Türen vorbei und erreichten schlieÃlich ein Gemach, vor dessen offener Tür eine weitere Frau in Dienertracht auf mich wartete.
Meine getrübten Sinne nahmen einen groÃen Raum wahr, schwere goldene Vorhänge und ein Feuer, das in einem kunstvoll gekachelten Kamin brannte, aber das Einzige, was wirklich meine Aufmerksamkeit fesselte, war das breite Himmelbett.
»Braucht Ihr irgendetwas? Möchtet Ihr etwas essen?«, fragte die Frau. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nur schlafen.
»Sehr gut«, sagte die Frau und nickte der Magd zu, die nach einem Knicks im Flur verschwand. »Dann lasse ich Euch allein, damit Ihr Euch ausruhen könnt. Aber verriegelt die Tür.«
Ich blinzelte.
»Nur zur Vorsicht«, sagte die Frau. Sie
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