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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Morozows Herde viele Werst zurück. Dabei drangen wir so weit wie möglich bis zum Außenposten vor. Maljen war mit jedem Tag bedrückter. Er warf sich im Schlaf unruhig hin und her und aß kaum noch etwas. Wenn ich nachts aufwachte, hörte ich, wie er sich unter den Fellen unruhig hin und her wälzte und murmelte: »Wo bist du? Wo bist du?«
    Er entdeckte die Spuren anderer Menschen – zerbrochene Zweige, versetzte Steine, alles Hinweise, die ich erst bemerkte, wenn er sie mir zeigte –, aber keine Spur des Hirsches.
    Eines Morgens rüttelte er mich vor Anbruch der Dämmerung aus dem Schlaf.
    Â»Steh auf«, sagte er. »Die Herde ist in der Nähe. Das kann ich spüren.« Er riss die Felle weg, in die ich mich eingewickelt hatte, und stopfte sie in den Rucksack.
    Â»Heh!«, meckerte ich, noch im Halbschlaf, und versuchte vergeblich, mich wieder zuzudecken. »Und das Frühstück?«
    Er warf mir einen Schiffszwieback zu. »Du musst unterwegs essen. Ich möchte heute die Pfade nach Westen absuchen. Ich habe da so ein Gefühl.«
    Â»Gestern hast du noch von Osten gesprochen.«
    Â»Ja, gestern«, erwiderte er, warf sich den Rucksack über und schritt in das hohe Gras. »Komm schon, beweg dich. Wenn ich dir nicht den Kopf abschlagen soll, müssen wir diesen Hirsch finden.«
    Â»Ich habe dich nie gebeten, mir den Kopf abzuschlagen«, brummelte ich, rieb mir den Schlaf aus den Augen und stolperte hinterher.
    Â»Was dann? Erstechen? Vor ein Erschießungskommando stellen?«
    Â»Ich dachte an etwas Stilleres. Zum Beispiel ein hübsches Gift.«    
    Â»Du hast nur von mir verlangt, dich zu töten. Die Art und Weise war kein Thema.«
    Ich zeigte ihm heimlich die Zunge, war aber froh, dass er so tatkräftig wirkte, und nahm es als gutes Zeichen, dass er über meine Bitte scherzen konnte. Ich hoffte jedenfalls, dass er scherzte.
    Auf dem Weg nach Westen kamen wir an Wäldern aus gedrungenen Lärchen und an Ebenen voller Weidenröschen und roten Flechten vorbei. Maljen bewegte sich zielstrebig und schritt so federnd aus wie immer.
    Die Luft war kalt und feucht. Ich merkte, dass Maljen mehrmals zum bedeckten Himmel aufsah, aber er ging unbeirrt weiter. Am späten Nachmittag erreichten wir einen flachen Hügel, der in einem weitläufigen, mit fahlem Gras bewachsenen Plateau auslief. Maljen marschierte oben auf dem Hang hin und her, erkundete ihn in westlicher, dann in östlicher Richtung. Er ging den Hügel hinunter und wieder hinauf und dann wieder hinunter, bis ich vor Ungeduld mit den Zähnen knirschte. Schließlich führte er mich in den Windschatten einer Ansammlung großer Felsen, ließ den Rucksack von den Schultern gleiten und sagte: »Hier.«
    Ich legte ein Fell auf den kalten Boden. Dann setzte ich mich und sah zu, wie Maljen erneut unruhig hin und her zu laufen begann. Schließlich ließ er sich neben mir nieder, den Blick auf das Plateau gerichtet, eine Hand am Bogen. Ich wusste, dass er sich ausmalte, wie die Herde am Horizont erschien, weiße Leiber, die im Zwielicht der Dämmerung leuchteten, Atem, der in der kalten Luft wölkte. Vielleicht versuchte er, sie durch Willenskraft herbeizurufen. Dieser Ort war auf jeden Fall genau richtig für den Hirsch – überall frisches Gras und da und dort kleine blaue Seen, die im Licht der sinkenden Sonne wie Münzen glänzten.
    Wir beobachteten, wie der Abend die Ebene in ein blaues Zwielicht tauchte. Wir warteten, lauschten dem Geräusch unseres eigenen Atems und des Windes, der über der weiten Landschaft stöhnte. Aber auch nach Sonnenuntergang regte sich nichts auf dem Plateau.
    Der Mond ging auf, verhüllt von Wolken. Maljen rührte sich nicht vom Fleck. Er saß da wie zu Stein erstarrt, den Blick seiner blauen Augen in die Ferne gerichtet. Ich holte das andere Fell aus dem Rucksack und hängte es über unsere Schultern. Die Felsen schirmten uns gegen den Wind ab, doch echten Schutz boten sie nicht.
    Maljen seufzte und sah aus zusammengekniffenen Augen zum Himmel auf. »Es wird bald schneien. Ich hätte uns in den Wald führen müssen, aber ich dachte …« Er schüttelte den Kopf. »Ich war mir so sicher.«
    Â»Schon gut«, sagte ich und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. »Vielleicht morgen.«
    Â»Unser Proviant reicht nicht ewig und hier draußen laufen

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