Grisham, John
verloren, weil ich im Gefängnis war. Ich habe fast mein
Leben verloren. Ich weiß alles über Sucht, weil ich alles selbst erlebt habe.
Ich bin geprüfter Therapeut für Drogen- und Alkoholabhängige, und ich arbeite
jeden Tag mit Abhängigen. Sind Sie abhängig?"
"
Ja."
"Gott
sei gepriesen. Sind Sie religiös?"
"Ich
glaube schon. Meine Mutter hat mich an Weihnachten immer in die Kirche
mitgenommen."
Bruder Manny lächelte und schob seinen dicken Hintern vom Tisch. "Ich
zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer. Es ist nicht das Ritz, aber es wird schon
gehen." Das Obdachlosenheim war ein großer Kellerraum mit einer
behelfsmäßigen Trennwand Frauen auf einer Seite, Männer auf der anderen. Der
Rest war offen und bestand aus ordentlich aufgereihten Feldbetten, die
offensichtlich aus Überschüssen der Armee stammten. "Die meisten dieser
Leute arbeiten tagsüber. Sie sind keine Penner", erklärte Bruder Manny.
"Gegen sechs Uhr abends kommen die Ersten wieder. Dort ist Ihr
Zimmer."
In der Nähe der Duschen gab es zwei kleine, abgetrennte Zimmer mit stabileren
Feldbetten und tragbaren Ventilatoren. Bruder Manny öffnete die Tür zu einem
der Zimmer und sagte: "Sie können das hier haben. Es ist für eine
Aufsichtsperson gedacht. Um ein eigenes Zimmer zu bekommen, müssen Sie eine
Aufgabe haben, und daher werden Sie bei der Zubereitung des Essens helfen, und
später, wenn alle in den Betten liegen, für die Sicherheit sorgen." Den
letzten Satz sagte er so bestimmt, dass jeder Gedanke an Protest im Keim
erstickt wurde.
Baxter schwirrte der Kopf. Er hatte den Tag in der luxuriösen Geborgenheit
einer 4-Sterne- Entzugsklinik begonnen und sich wie ein kleiner Junge darauf
gefreut, endlich fortgehen zu können. Jetzt stand er im überhitzten Keller
einer alten Kirche, die für fünfundfünfzig der ärmsten Seelen Amerikas das
Zuhause war, und man erwartete von ihm, dass er die nächsten drei Tage mit
ihnen zusammenlebte. Dass er ihre Mahlzeiten kochte und bei ihren Prügeleien
dazwischenging.
Baxter Tate, von der Pittsburgher Tate- Dynastie. Banker, Blaublütler, die in
großen Herrenhäusern wohnten, welche von einer Generation an die nächste
vererbt wurden, stolze, arrogante Menschen, die in andere, ähnliche Sippen
einheirateten und den Genpool dadurch noch kleiner machten.
Wie hatte er es fertig gebracht, in seinem kurzen Leben so tief zu sinken?
Rechtlich gesehen konnte er jederzeit verschwinden. Er konnte durch die Tür
gehen, sich ein Taxi suchen, wegfahren. Es gab keinen richterlichen Beschluss,
der ihn hier festhielt. Onkel Wally wäre enttäuscht, doch das war auch schon
alles, worüber Baxter sich Sorgen machen müsste, falls er türmte.
"Alles
in Ordnung mit Ihnen?", fragte Bruder Manny. "Nein." Es war
erfrischend, so ehrlich zu sein. "Schlafen Sie ein bisschen. Sie sehen
blass aus."
Baxter
konnte nicht schlafen, es war zu heiß. Nach einer Stunde schlich er sich aus
der Kirche und erkundete das Stadtzentrum von Reno. Er suchte sich ein Diner
und nahm ein spätes Mittagessen zu sich - sein erster Hamburger mit Pommes seit
Monaten. Er hatte genug Geld, um sich für ein, zwei Tage ein Hotelzimmer zu
nehmen, und dieser Gedanke ging ihm im Kopf herum, während er ziellos durch die
Straßen wanderte. Immer wieder kam er an Casinos vorbei. Er war noch nie ein
Spieler gewesen, aber jedes Casino hatte eine Bar. Bars waren natürlich tabu,
doch er wollte einfach nicht ins Hope Village zurück. Jedenfalls noch nicht
gleich.
An einem Blackjack- Tisch zog er fünfzwanzig Dollarscheine aus der Tasche,
tauschte sie gegen ein paar grüne Chips ein und spielte eine Weile mit
Einsätzen von jeweils fünf Dollar. Eine alternde Cocktailkellnerin rauschte
vorbei und fragte, was er trinken wolle. "Eine Flasche Wasser",
erwiderte er wie aus der Pistole geschossen. Er klopfte sich selbst auf die
Schulter. Der einzige andere Spieler am Tisch, ein Cowboy mit schwarzem Hut und
allem, was sonst noch dazugehörte, hatte eine Flasche Bier vor sich. Baxter
trank sein Wasser, spielte seine Karten aus und warf von Zeit zu Zeit einen
Blick auf die Bierflasche. Sie sah so harmlos aus. So schön.
Als er alle Chips an den Dealer verloren hatte, verließ er den Tisch und
schlenderte durch das Casino. Es war ein schrecklicher Ort, an dem sich nur
wenige Leute aufhielten, Leute, die hier nichts zu suchen hatten und mit Geld
spielten, von dem sie nicht so viel besaßen, dass sie es ruhigen Gewissens
verlieren konnten. Er
Weitere Kostenlose Bücher