Größenwahn
Pferdebahn-Perron begegnete, »zerschmettert von meinem Blicke,« wie der große Sittenschilderer ausschmückend hinzufügte.
Kurz, von welcher Seite man den ritterlichen ironischen Kneiferhelden auch betrachten mochte, – überall blieb er die gleiche einnehmende Überflüssigkeit, die ihre ganze Existenzberechtigung aus dem Wörtchen »von« herleitete.
Einen Augenblick empfand Leonhart, als die fischblütige Ruhe dieses Wouldbe-Gentleman an ihm die hartnäckige Betonung der Duell-Nothwendigkeit »aus unsern gesellschaftlichen Verhältnissen heraus« wie eine Schraubentortur weiterquetschte, das Gelüst aufzuspringen: »Sie sind ja ein Bube, Sie!« Sein Stock zitterte in seiner Hand, es schwamm ihm roth vor den Augen und er sah gleichsam das Blut langsam die wachsbleiche abgelebte Todtenmaske heruntertropfen, wenn er quer durch die hohngrinsende Fratze hieb.
Denn dieser gutmüthig weiche Charakter durfte leider mit Hamlet gestehen: »Wenn ich auch mild bin von Natur, so ist doch was Gefährliches in mir, das ich zu scheuen bitte .« Es war nur ein Augenblick, es ging vorüber. Er überlegte blitzschnell, was denn eigentlich daraus werden solle. Von höchstem moralischen Muthe, fühlte sich der Dichter, zwischen Jähzorn und Niedergeschlagenheit schwankend, so nervös herabgestimmt, daß eine allgemeine Schwäche der persönlichen Initiative (neben höchster Anspannung des Willencentrums in rein geistigen Dingen) ihn vor rohen Aeußerlichkeiten zurückbeben ließ. Sollte er sich hier persönlich mit dem gefährlichen Lauerer herumwürgen? Derselbe war allem Anschein nach wohl stärker, wie denn rauflustige Memmen immer nur dem physisch Schwächeren gegenüber Muth schöpfen, da ihnen ja nichts imponirt als körperliche Züchtigung. Von physischem Muth kann ja überhaupt nur dem Stärkeren oder gleich Starken gegenüber die Rede sein.
Die Renommisten der Fechtböden, prahlend mit ihrem muskulösen Arm, die minder Gewandten abfertigend, laufen oft in der Schlacht davon.
Duell! Sollte er sein kostbares Loben, von welchem die Zukunft der Poesie abhing, aufs Spiel setzen, um einem werthlosen Junkerlein als Zielscheibe seiner Schießkunst zu dienen?! Nein, diese Farce der Selbstentehrung, zu Ehren eines formvollendeten Rowdie für das Gerippe einer moderzerfressenen After-Ehre, sollte nicht den Mephisto des Zufalls ergötzen.
Leonhart erhob und empfahl sich kurz, mit lebhaftem Bedauern, daß ihre Auffassungen so weit auseinander gingen. Schnapphahnitzkoy geleitete ihn mit stummer Verbeugung bis zur Thür. Von beiden Seiten war kein zuchtloses Wort gefallen. In dieser Hinsicht wenigstens verleugnete jener merkwürdige Mensch nicht die Erziehung eines früheren Offiziers.
Beide ignorirten sich natürlich seitdem, wobei Schnapphahnitzkoy selbstverständlich von dem stolzen Bewußtsein strahlte, einen großartigen moralischen Triumph über diesen eingebildeten Dichterheros erzielt zu haben. Es giebt eine Heuchelei der Ehre , wie eine Heuchelei der Moral, und man möchte mit Falstaff fragen: Was ist Ehre! Jedenfalls hatte der Größenwahn der falschen Kavalier-Ehre wieder mal sein Opfer verlangt und zog sich mürrisch zurück, da sein planmäßiger Mordversuch an der gesunden Vernunft und Vorurtheil-Verachtung des Umgarnten machtlos abprallte.
Uebrigens rächte sich der Ritter von Schnapphahnitzkoy später auf eine höchst gentlemanlike Weise für den abgeblitzten Einschüchterungsversuch (eigentlich »Nöthigung« zum Zweck der Körperverletzung), indem er seine Feinde Schmoller und Leonhart nach deren Verfeindung wegen einer Injurien-Klatscherei öffentlich durch eine gänzlich erlogene Thatbestand-Entstellung gegeneinander hetzte, welche Leonhart jeder Zeit durch compromittirenden Abdruck der eigenen Briefe Schnapphahnitzkoy's an ihn hätte aufdecken können. Freilich entsprach es auch der Verlogenheit Schmoller's, daß er, obschon Leonhart gegenüber schriftlich wiederholt das Gegentheil bekundend, seinerseits nun die Darstellung Schnapphahnitzkoy's mit Bezug auf Leonhart's angeblichen »Verrath« an seinem früheren Freunde als richtig auffaßte, während lediglich er selbst seine Ansicht über Schnapphahnitzkoy aller Welt förmlich aufgedrungen hatte. Verlogenheit hier, Verlogenheit dort – in der Mitte die Unvorsichtigkeit einer schwachen Stunde vertrauensseliger Dupirung durch Schnapphahnitzkoy's falsche Freundlichkeit und Wehklage über Leonhart's kühle Ablehnung, welche offenbar durch Schmoller's
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