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Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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auch darauf achten, auf keine Ameise zu treten, was so dicht am Bau nahezu unmöglich war. So groß war das Gewusel.
    Gebannt träumte er auf das Ameisengewimmel. Wenn er lange genug hinschaute, glaubte er einen Rhythmus zu erkennen und Bahnen, Kurven, die die Tiere immer wieder liefen. Sorgfältig achtete er darauf, dass er ihnen nicht im Weg stand. Zum einen wollte er keine töten, zum anderen wollte er nicht, dass sie an ihm hochliefen. Regelmäßig schnippte er mit seinen kleinen Fingern die Tiere von den Hosenbeinen. Ansonsten lagen seine Ellbogen auf den Knien und sein Kinn auf beiden Handflächen.
    Wie ein solcher Ameisenhaufen wohl von innen aussah? Er stellte sich eine Unzahl von Gängen und Schächten vor, durch die Millionen Ameisen huschten, Träger und Soldaten. Und weit unten, im Inneren verborgen, unerreichbar ruhte die Ameisenkönigin. Das wusste er aus einem Bilderbuch über Insekten.
    Bei dem Gedanken gruselte es ihn ein bisschen, war sie doch um einiges größer als ihre Artgenossen. Wie lange die Ameisen wohl an ihrem Bau gearbeitet hatten?
    Er bestand aus verkleistertem Dreck, kleinen Blattstängeln und dünnen Zweigen. Die Ameisen schienen an ihm zu kleben. Nicht eine rutschte ab, obwohl einige Wege wirklich steil waren. Es stolperte keine, und keine purzelte herunter. Bergauf oder bergab, sie konnten sich sicher auf ihren sechs Beinen fortbewegen.
    Er nahm einen kleinen Stock und hielt ihn an eine Stelle, wo er keine Ameise verletzte. Sofort strömten aus allen Richtungen die Insekten herbei, betasteten das Holz und kletterten an ihm hoch. Cliff zuckte zurück und ließ dabei den Stock los. Er stürzte auf eine Menge Tiere, aber keines nahm dabei Schaden. Alle liefen weiter. Dann sammelten sie gemeinsam um den Fremdkörper, und es sah aus, als wollten sie ihn den Hügel herunterrollen, da hörte er hinter sich das Stapfen. Äste brachen, das Geräusch näherte sich immer schneller.
    Der Hund, dachte sich Cliff, der nette Hund, wie hieß er noch gleich? Lucky, ja. Fraßen Hunde Ameisen? Wenn Lucky nun anfing, seine Freunde zu fressen, wie könnte er ihn davon abhalten? Mit seiner klebrigen Zunge könnte er sie einfach aufschlecken. Würde Lucky auf ihn hören, wenn er Aus sagen würde?
    Er drehte sich um, »Lucky?«
    »Cliff«, hörte er seine Mutter vorwurfsvoll sagen.
    »Da ist er ja«, sagte die fremde bunte Frau neben ihr, »habe ich doch gesagt.«
    »Cliff.«
    Er stand auf, und in der gleichen Bewegung hob sie ihn unter den Armen hoch, und er lächelte sie an, aber sie sah sauer aus.
    »Cliff, wir haben dich gerufen!«
    »Ja?«
    »Warum hast du nicht geantwortet?«
    »Weiß nicht.«
    »Hast du uns nicht gehört?«
    Die bunte Frau rief plötzlich laut, »Wir haben den Kleinen gefunden!«
    Schlagartig dröhnte Lärm herüber.
    »Cliff, du musst uns doch gehört haben.«
    »Nein.«
    Sie drückte ihn an sich, »Was hast du denn gemacht? Du solltest doch nicht weglaufen. Mami hat sich ganz doll Sorgen gemacht.«
    »Bin nicht weggelaufen.«
    »Was hast du denn hier gemacht, im Wald?«
    »Die Ameisen. Guck mal, ein Ameisenhaufen.«
    »Cliff, wenn wir rufen, musst du antworten«, sagte sie ernst.
    »Ja.«
    »Versprochen?«
    »Okay-okay.«
    »Wir haben uns so erschrocken. »
    Er nickte.
    Die bunte Frau klopfte an einem Baumstamm, »Sollen wir mal wieder zurück zum Trailer. Der Wodka wird warm.«
     
     
Jon ließ den Lärm des Rüttlers und die Siebtrommel hinter sich und lief dem orangefarbenen Radlader entgegen, der mit voller Schaufel vom Glory Hole über den Waldweg holperte. Er konnte die Arbeit kaum erwarten.
    Alles würde gut werden, Cliff und Tara waren endlich da, und Gold hatten sie auch gefunden, sogar viel, wie es aussah. Von jetzt an würde es aufwärtsgehen, mit allem. Sie waren vorhin am absoluten Tiefpunkt angekommen, und ihr Blatt hatte sich gewendet. Es konnte ja auch nicht immer nur weiter bergab gehen. Das hatte er nicht verdient, er nicht, Tara nicht, und Cliff schon gar nicht. Er sollte aufwachsen wie alle anderen in seinem Alter, stolz auf seinen Dad, der alles für ihn tat, und er sollte Freunde haben, mit ihnen gemeinsam Indoor-Spielplätze besuchen können, spontan eine Pizza essen oder ins Kino gehen können, mal ein kleines Geschenk nebenbei bekommen können, ohne dass

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