Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
Verheerungen anrichten konnten.
Unter dem Begriff des Griechischen Feuers verstand man dann im Hochmittelalter, etwa in den Kreuzfahrerstaaten und den Seemächten in Westeuropa, nur noch die Brandsubstanzen, während das eigentliche Prinzip, einen vorgeheizten Flüssigbrandsatz mittels Druckdüse zu schleudern, als Kriegstechnologie in Vergessenheit geriet. Das Wissen um die am meisten gefürchtete maritime Kriegswaffe des Mittelalters ging spätestens mit der Eroberung Konstantinopels 1453 endgültig verloren. Und ebenso versank im christlichen Abendland die Erinnerung an die arabischen Belagerungen Konstantinopels.[ 19 ]
Und die abgewehrten Angriffe auf Konstantinopel im 7. und 8. Jahrhundert? Die Siege der Verteidiger zeitigten gravierende Folgen: Die zweimalige Abwehr der Araber vor Konstantinopel verhinderte die vollständige Eroberung des Byzantinischen Reichs. Das Schicksal der Sassaniden, deren Reich von den Arabern völlig ausgelöscht wurde, blieb Byzanz erspart. Zugleich wurde damit der Vormarsch der Araber über den Balkan nach Europa verhindert. Ja, zum ersten Mal war dem bis dahin unwiderstehlichen Aufstieg der Araber überhaupt Einhalt geboten worden. Die arabische Expansion nahm nun einen anderen Weg, nicht weiter über den Balkan, sondern von Nordafrika nach Spanien. Bereits 719 überschritten die Araber die Pyrenäen. Doch konnten sie hier von einer anderen, gerade aufsteigenden Großmacht gestoppt werden: 732 schlug der fränkische Hausmeier Karl Martell bei Tours und Poitiers eine nach Nordenvorstoßende Abteilung der Muslime. Mit dieser Niederlage stieß die islamische Expansion auch im Westen Europas an ihre Grenzen.
Im Osten war durch den fast vollständigen Verlust der Flotte vor Konstantinopel die Seeherrschaft der Araber im östlichen Mittelmeer auf längere Zeit gebrochen. Als 750 die Dynastie der Umayyaden durch die Abbasiden abgelöst und der Kalifensitz von Damaskus nach Bagdad verlegt wurde, verminderte dies zusätzlich den Druck auf das Oströmische Reich. Das mittelalterliche Byzanz gewann nun weiter an Gestalt, und im Gefolge der permanenten Kriegsbedrohung fand das Reich zu einer Verwaltungsreform, welche die Widerstandskraft langfristig stärkte. Man könnte diese Veränderung der inneren Struktur des Reiches geradezu als einen Modernisierungsschub bezeichnen.
Durch die großen Gebietsverluste im Osten hatte Byzanz aufgehört, die Rolle einer imperialen Universalmacht im östlichen Mittelmeerraum zu spielen. Im Schatten des immer weiter schrumpfenden Reichs der Rhomäer gewannen neue Seemächte an Bedeutung, allen voran Venedig und Genua. Diese bildeten eigene Seeimperien aus, deren Macht nicht mehr auf der Beherrschung großer Territorien beruhte. Im Bereich der Schiffstechnologie sollten deren neue Galeeren bald die byzantinischen «Läufer» ablösen. Es gehört zur Ironie in der Geschichte, dass die Voraussetzungen für die «Beerbung» Ostroms durch Venedig und andere italienische Seerepubliken überhaupt erst durch dessen erfolgreichen Widerstand gegen die arabische Expansion geschaffen wurden.
Obwohl ganz in die Verteidigung gedrängt, hatte Byzanz dennoch als Seemacht den Arabersturm auf halten können, eine Leistung, an deren Versuch viele Landmächte zuvor gescheitert waren. Und in der Tat kann man sich fragen, wie wohl die europäische Kultur geprägt worden wäre, hätten die Araber auch noch Italien und weitere Teile des Kontinents erobert und in die islamische Welt einbezogen, so wie es Nordafrika im Ganzen und der Iberischen Halbinsel in Teilen widerfuhr. Das westliche Europa hatte allerdings von seiner eigenen Rettung wenig mitbekommen. Hier bemühte sich gerade der heilige Bonifatius um die Bekehrung der Vorfahren der Deutschen, als die byzantinische Flotte im Seekrieg um Konstantinopel dank des Griechischen Feuers den Beleg dafür erbrachte, dass kriegstechnische Neuerungen mitunter über das Schicksal von Reichen und damit den Verlauf der Weltgeschichte entscheiden können.
5. Montecristo 1241
AUSRADIERTE ERINNERUNGEN
Kaiser Friedrich II. schlägt die Seemacht Genua
Anders als in der Antike und in der Neuzeit fanden während des Mittelalters in Europa seltener große Seeschlachten statt. Dies liegt vor allem daran, dass bei den meisten politischen Gebilden jene staatlichen Strukturen fehlten, die die Voraussetzungen für den Bau und Einsatz von großen Flottenverbänden schaffen. So ist es kein Zufall, dass eine der wenigen Ausnahmen von dieser
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