Großer-Tiger und Christian
stieg Glück aus, um den Motor anzukurbeln. Auch Grünmantel betätigte sich, und der
Streit schien für diesmal beigelegt. Grünmantel fegte den Schnee von der Haube, er wischte sogar die Glasscheiben sauber und
hielt den abgebrochenen Telegrafenmast so lange fest, bis der Wagen weit genug rückwärtsgefahren war, um nicht mehr gefährdet
zu sein.
Christian lüpfte die Fellkappe ein wenig, stieß Großer-Tiger von der Seite an und fragte: »Hörst du mich, Großer-Tiger?«
»Ich höre dich, Kwi-Schan. Sprich aber schnell, sonst schlafe ich wieder ein, bevor ich hören kann.«
»Sie haben sich gestritten«, berichtete Christian. »Grünmantel hat gesagt, der Wagen könne an Wert verlieren, wenn Glück nicht
besser aufpasse.«
»Ist das alles?«
»Ja, das ist alles, und wir sind eingeschneit. Aber ich bleibe liegen.«
»Ich stehe auch nicht auf«, sagte Großer-Tiger.
So blieben sie im Schlafsack und schliefen die meiste Zeit. Nur wenn der Wagen sehr stark rüttelte, oder wenn er über einen
Graben fuhr, wachten sie auf, und Großer-Tiger sagte: »Da ist keine Hilfe.« Dann schliefen sie sogleich wieder ein.
Richtig wach wurden sie erst, als Glück tutete, und als der Wagen eine endlose Zeit ruckweise hin- und herfuhr. Die Fässer
schlugen aneinander; irgendwer rief: »Südwesten!… Halt! … Noch ein Stückchen! …«
Christian wusste nicht, ob es der Wirt von den »Zwei silbernen Schüsselchen« war, der so schrie, und Großer-Tiger träumte,
er ginge die Passstraße hinauf, und oben stünde Lo-Tjang mit einem baumstarken Knüppel. Schnell machte er die Augen auf, und
als er nur Dunkelheit sah und Wärme spürte, die ihm das Gesicht kitzelte, schlug er die Fellkappe zurück. Da war er froh,
dass Christian neben ihm lag, und Christian war froh, dass er Großer-Tiger sah.
Über sich erblickten sie einen finster drohenden Nachthimmel mit ängstlichen Wolkenfetzen. Ein Mann mit einer Papierlaterne
lief dem Wagen voraus, und als Glück den Scheinwerfer löschte, schwankte das Laternchen wie ein verlorener Stern. Der Wagen
stand, der Motor verstummte, und der Mann kam näher. Es war der Wirt des Gasthauses »Zum fröhlichen Gedeihen« in Weißer-Stein.
Er hob die Laterne in die Höhe, um den späten Gästen ins Gesicht zu leuchten; aber da fauchte ihn Grünmantel an: »Unterstehe
dich, Lümmel! Nimm die Laterne weg! Es braucht niemand zu wissen, dass ich hier bin!«
»Zu Befehl, Euer Gnaden«, stotterte der Wirt erschrocken, »ich wusste nicht, wie hätte ich ahnen können …, so früh in der Jahreszeit die hohe Ehre Eures Besuchs in meiner baufälligen Hütte! Dazu in einem Wägelchen, das von selber
geht. Da sieht man …« »Du sollst den Mund halten!«, fuhr ihm Grünmantel in die Rede; »führe uns in das Gastzimmer!«
»Ich bitte um Vergebung …, das Gastzimmer …, ja, das Zimmerchen, von dem wir reden, nämlich das mit dem heizbaren Kang …«
»Selbstverständlich!«, schrie Grünmantel, »kein anderes Zimmer kommt in Betracht!«
»Dieses Zimmerchen, Exzellenz«, jammerte der Wirt, »dieses schöne warme Kämmerchen ist besetzt.«
»Mach es frei!«, befahl Grünmantel.
»Ich wage es nicht. Fünf, sechs Stück Barbarchen, ein ganzer Haufen Mensch schläft darin.«
»Wir werden sie hinauswerfen!«, sagte Glück, und er klopfte mit der flachen Hand auf die Pistolentasche; »geh voran und leuchte!«
»Ich bitte kniefällig um Gnade, es sind gute Gäste.«
»Du meinst, sie bezahlen?«
»Ich bitte um weitherzige Verzeihung. Diese Gäste bezahlen nicht, aber sie hinauswerfen, hieße von einer Ameise verlangen,
einen gewaltigen Berg zu transportieren.«
»Wer sind diese ehrenwerten Herzöge?«, fragte Grünmantel spottend.
»Sind sie bewaffnet?«, fragte Glück.
Der Wirt tat wichtig. »Keiner der Herrn ist bewaffnet«, sagte er leise; »sie wollten auch gar nicht bei mir einkehren, o nein,
ich bin viel zu gering, aber der Schneesturm zwang sie dazu.«
»Sprich schon!«, drängte Grünmantel.
»Es ist Jolleros-Lama gekommen, der Gegen, der lebende Gott des Klosters Belin-Sum, dazu ein leibhafter Prinz, und mit dem
Gegen kam sein Gefolge, lauter hohe mongolische Lamas. Ich kann nichts dafür, Exzellenz.«
»Freilich, freilich«, knurrte Grünmantel, und er überlegte einen Augenblick. »Lass gut sein«, sagte er dann zu Glück. »Es
gibt keine Hilfe. Meine Geschäfte, verstehst du, könnten Schaden leiden.«
»Geh zum Teufel mit deinen
Weitere Kostenlose Bücher