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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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verzärtelt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden je erwachsen werden, sie erwarten immer, dass jemand anderer ihre Probleme löst. Von wegen Trittbrettfahrer, Schürzenzipfelfahrer sind sie geworden. Vielleicht hätte ich mich mehr einmischen müssen, hatte ich auch vor, ich wollte ein anderer Vater sein als meiner und alle Generationen vor ihm, in den ersten Jahren war das möglich. Aber was denn nicht noch alles? Einer muss sich schließlich ums Geschäft kümmern, die Verantwortung tragen. Früher vielleicht, da lief manches noch mehr oder weniger von allein, aber heute? Wie heißt es im ›Don Carlos‹? Wenn der Fürst schläft, wacht lauernd der Verräter, dashat Papa oft in der Dusche gesungen, natürlich auf Deutsch, sein Italienisch hat dafür nicht gereicht. Er hätte sich wohl gern als tiefer Bass gesehen. Die Leute haben ja keine Ahnung, wie kompliziert es heute ist, einen mittelständischen Betrieb zu führen. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau. Da fehlt ein Adjektiv. Hab ich vergessen, ist vielleicht gut so. Es geht nicht nur darum, einem den Rücken freizuhalten, wichtiger noch wäre der Kopf, den man nicht mit den albernen Alltagsgeschichten belasten kann, wenn man seinen Weg machen will. Dass ich nicht auf die Elternsprechtage gegangen bin, macht Lea mir zum Vorwurf! Meine Mutter wäre nie auf die Idee gekommen, Papa dazu zu verpflichten, dass er mit einem Haufen schwatzender Weiber vor einem Klassenzimmer antichambriert. Also wirklich. Papa sorgt für uns alle, sagte Mama oft genug, wir müssen dankbar sein und ihm keinen Kummer machen. Wenn ich denke, was alles in die Kategorie »Kummer machen« fiel, von ungebührlichem Lärm im Kinderzimmer bis zu schlechten Noten. Natürlich haben wir auch gelegentlich, na ja, wir waren keine Spielverderber, weit gefehlt, wir hatten unsere wilden Jahre, aber doch alles irgendwie im Rahmen. Lea tut geradeso, als müsste ich vor einem Pauker in die Knie gehen, also wirklich. Die spielen sich doch nur auf, weil sie insgeheim wissen, dass sie im rauen Wind der wirklichen Welt nie bestehen könnten. Wenn ich es mir recht überlege, wäre das genau der Schonraum, den diese Muttersöhnchen brauchen, nur müssten sie dazu erst einmal einen Studienabschluss schaffen. Es liegt natürlich nie an ihnen, wenn eine Prüfung schiefgeht oder sie einen Termin versäumen, immer sind es die Umstände, die bösen anderen. Weidwund dreinschauen, das können sie. Und Ansprüche stellen. Sie sind anscheinend wirklich überzeugt, dass ihnen derselbe Anteil amFamilieneinkommen zusteht wie mir, obwohl keiner von ihnen auch nur einen Cent dazu beiträgt. Dabei auch noch anmaßend. Die Blicke, die sie einander zugeworfen haben im letzten Jahr, als meine Skier schlecht gewachselt waren und ich ein paar Minuten nach ihnen unten ankam. Diese Herablassung. Einfach lächerlich. Wenn sie mich herausfordern wollen, wunderbar, aber dann müssen sie auch Leistung erbringen. Herrgott noch einmal, wir werden doch alle immer wieder an unseren Vätern gemessen. Leider auch an unseren Söhnen, da schneide ich nicht so gut ab, fürchte ich. Bei allen Bewährungsproben haben sie versagt. Erschreckend wenig fällt mir ein, das ich zu ihren Gunsten sagen könnte. Höchstens, ja, Marco hat eine gewisse Fähigkeit, ein Problem sehr schnell als Ganzes zu erkennen, nur ist er leider nicht bereit, sich mit den Details herumzuschlagen, auf die es letztlich ankommt. Jonathan – ist es nicht schrecklich, wie lange ich nachdenken muss, bis ich etwas Gutes an ihm finde, wie war doch die Geschichte mit dem Käse, den er gern gegessen hat? Also Jonathans Rückhand ist gar nicht übel, wenn er bereit wäre, sich auf ein richtig ernsthaftes Training einzulassen, hätte er durchaus Chancen als Profi. Wenn. Hätte. Nur im Konjunktiv kann ich mich an meinen Söhnen freuen. In Wirklichkeit kenne ich sie kaum, so schrecklich das ist, und sie zeigen keinerlei Interesse daran, mich zu kennen. Was habe ich mich bemüht, meinem Vater näherzukommen. Ein einziges Mal fällt mir ein, wir hatten uns bei einer Wanderung verlaufen – übrigens die einzige Wanderung mit ihm, an die ich mich erinnern kann – und sind schon völlig erschöpft über eine steinübersäte Wiese gestolpert, jede Menge Kuhfladen, aber weit und breit keine Tiere, ich bin in einem Kuhfladen ausgerutscht und hingefallen, wollte gar nicht mehr aufstehen, aber er hat meine Hand gepackt und michhochgezogen und hat meine dreckige Hand

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