Großstadtvampire (German Edition)
der Straße, allesamt Mietshäuser aus dem letzten Jahrhundert, die grau und unsaniert matt in der Sonne standen. Die Straße befand sich am Rand des angesagten Prenzlauer Berges. Sie war zu weit vom schicken Kollwitzplatz entfernt und daher noch nicht vom Sanierungswahn der letzten Jahre heimgesucht worden. Johannes mochte sein Haus und die Straße. Es schien, als hätte man die Straße schlicht vergessen und sie in einen wonnigen Dornröschenschlaf übergeben. Hier hatte man mitten in der lärmenden Stadt seine Ruhe.
Genervt stand er vor der Haustür. Das Schloss war grundsätzlich nicht so einfach zu öffnen, aber heute war er zu erschöpft und durcheinander, um den Schlüssel mit der nötigen Feinfühligkeit umdrehen zu können.
Was hatte er bloß angerichtet? Er versuchte die Gedanken an alles, was in dieser Nacht geschehen war, zur Seite zu schieben. Er musste erst einmal darüber schlafen. Etwas Ruhe würde ihm helfen, alles wieder in Ordnung zu bringen.
Von wegen alles in Ordnung, schoss es ihm durch den Kopf. Nichts war in Ordnung und es gab auch keine einfache Lösung für seine Probleme. Er rüttelte an der Tür. Verflucht, das konnte er gerade überhaupt nicht gebrauchen. Da schnappte der Schlüssel endlich ein und Johannes konnte die Haustür öffnen. "So eine Scheisse aber auch!", fluchte er, als er ins Treppenhaus trat und sogleich ein Räuspern vom Treppenabsatz hörte.
"Solange Sie nicht der Vampirmörder sind, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen!"
Überrascht blickte Johannes die Treppen hinauf. Da stand Brigitte Büchsenschuss. Brigitte war eine gestandene unauffällig bodenständige Frau Ende Vierzig. Sie hatte eine leichte Regenjacke übergezogen und war mit ihrer Einkaufstasche auf den Weg aus dem Haus. Ihre gewitzten neugierigen Augen passten zu ihrer Berliner Schnauze, mit der sie sich gewöhnlich fleißig darum bemühte, alle Bewohner des Hauses über den jeweils aktuellen Klatsch und Tratsch auf dem Laufenden zu halten.
"Wie bitte?" Johannes wusste gar nicht was er mit ihrer Bemerkung anfangen sollte.
"Hören Sie denn kein Radio?", fuhr Brigitte fort.
"Nein. Was ist denn passiert?", antwortete Johannes unsicher.
Brigitte beugte sich verschwörerisch vor. "Na, der Vampirmörder hat wieder zugeschlagen."
"Wirklich?" Johannes tat unwissend.
"Ja. Schon wieder 'ne junge Frau. Und wieder kein Blut im Körper. Ist doch echt gruselig, wa?", Brigitte war jetzt ganz in ihrem Element. "Und was unternimmt die Polizei? Gar nichts. Das sage ich Ihnen. Das hätte es früher nicht gegeben. Mein Kurt meint aber, die Polizei kann da soundso nichts machen." Sie senkte die Stimme, "Er sagt, da steckt ein echter Vampir dahinter."
"Was Sie nicht sagen.", sagte Johannes und hoffte sehr, dass Brigitte ihrem Mann nicht glaubte.
"In den Zeitungen steht es ja auch.", unterstrich sie ihren Punkt.
"Wirklich?", spielte er mit.
"Doch wirklich. Ja, ja, angeblich sind die Vampire in der Stadt. Früher waren es Wildschweine, die sich nach Berlin verirrten, heute sind's Vampire. Verrückt, wa? Unter uns, mein Kurt hält Sie auch für einen Vampir."
"Wieso denn das?", wollte Johannes nun wissen.
"Na, ja, bei Ihrem Lebenswandel? Immer bis in die Puppen und am Liebsten nur in der Dunkelheit unterwegs. Da macht man sich schon so seine Gedanken, oder nicht?"
Johannes versuchte sich seine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. "Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich…"
"Und dann kriegen Sie noch ein Paket aus Rumänien!", unterbrach ihn Brigitte.
"Ein Paket aus Rumänien?" Johannes wunderte sich wirklich. Wer könnte ihm denn etwas geschickt haben? Vor allen Dingen aus Rumänien?
"Ja, aus Rumänien." Brigitte nickte eifrig und ließ Johannes einen Moment in der Luft hängen.
"Jetzt hab ich Sie aber rangekriegt, oder? Machen Sie sich keine Sorgen. Vampire gibt’s doch gar nicht", winkte sie ab und musste dabei lachen.
"Da bin ich ja beruhigt", sagte Johannes und war es wirklich.
"Das weiß doch jedes Kind. Aber mein Kurt…" Sie hielt für einen Moment inne. "Na ja, was soll man da machen? Ein Paket haben Sie aber wirklich gekriegt. Ich hab' für Sie unterschrieben. Steht oben vor der Tür."
"Vielen Dank. Aus Rumänien haben Sie gesagt?", wollte er noch wissen. "Stand zumindest als Absender drauf. Sie haben gar nicht erzählt, dass Sie Musiker sind." antwortete Brigitte mit einem vorwurfsvollen Unterton, der ihn vielleicht an die im Mietvertrag aufgeführten Ruhezeiten erinnern sollte, vielleicht
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