Großstadtvampire (German Edition)
wahrscheinlich, dass er nach seiner Flucht aus dem Krankenhaus direkt hierher zurückgekehrt war, um das Nötigste zusammenzupacken und zu fliehen. Vermutlich war er schon längst getürmt. Allerdings musste seine Entdeckung im Krankenhaus für ihn sehr überraschend gekommen sein, sonst hätte er sich nicht so sicher gefühlt überhaupt zur Arbeit zu gehen.
Lohmann sah sich das Treppenhaus genauer an. Ein typisches Mietshaus, dachte er. Wahrscheinlich wohnte man hier anonym, wusste nichts über seine Nachbarn und wollte das auch gar nicht. Anderseits waren sie hier im Osten und die Ossis zeichneten sich immer noch durch ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl aus. Vor allem, wenn sich die Bewohnerstruktur eines Hauses seit der Wende einigermaßen gehalten hatte, was hier offensichtlich der Fall war. Davon zeugten die an der Tür angebrachten Zettel und Bleistifte, mit denen schon zu Vorwendezeiten unangesagter Besuch, in Ermangelung eines Telefons, Nachrichten hinterlassen konnten. Auch fehlte es im Eingangsbereich an den Oberklassekinderwagen der zugezogenen, besser verdienenden Akademiker.
"Was ist nun?", wollte Dieter wissen. "Soll ich die Kollegen rufen und die Wohnung aufbrechen lassen?"
"Ne, noch nicht", gab Lohmann zur Antwort. "Ich unterhalte mich erst mal mit den Nachbarn. Versteckt euch so lange einen Stock höher. Nur für den Fall, dass er doch noch nach Hause kommen sollte."
Dieter und die zwei Polizeibeamten, die außerdem mitgekommen waren, sahen sich etwas verwundert an, doch Lohmann war schon auf dem Weg nach unten. Als sie vorhin im Haus angekommen und die Treppe in den dritten Stock hochgestiegen waren, war es Lohmann so vorgekommen, als ob man sie aus einer Wohnung im ersten Stock heraus beobachtet hätte. Ihm war eine Bewegung hinter dem Türspion aufgefallen. Vielleicht war das ja ein besonders neugieriger Nachbar, der ihm etwas mehr über Johannes von Nersdorff erzählen konnte. Oder auch eine Nachbarin, die ein Auge auf den attraktiven Adligen geworfen hatte.
Gelassen ging Lohmann die Treppen bis ins erste Obergeschoss hinunter. Als er schließlich ankam und näher an die Wohnungstür herantrat, bemerkte er erneut, dass sich hinter dem Spion etwas bewegte. Er war sich jetzt ziemlich sicher, dass irgendjemand hinter dieser Tür das Treppenhaus beobachtete. Das konnte ihm nur recht sein, bedeutete es doch, dass der Mieter seinen Nachbarn vermutlich ebenfalls nachstellte. Im Fall des verdächtigen Mieters im dritten Stock konnte das für die Polizei nur von Vorteil sein.
Lohmann läutete an der Wohnungstür. 'Büchsenschuss' stand auf einem selbstgetöpferten Schild über der Klingel und er dachte noch über den seltsamen Namen nach, als er Schritte hinter der Tür hörte. Dann kam es zu einem kurzen Getuschel, bevor sich die Tür schließlich öffnete.
"Ja, bitte?" Kurt und Brigitte Büchsenschuss standen in der Tür und blickten Lohmann erwartungsvoll und ein wenig ängstlich an.
Lohmann wunderte sich über dieses seltsame Paar, das ihn eher an schuldbewusste Verbrecher denken ließ, die ihre Verhaftung erwarteten, als an mögliche Zeugen. Er verwarf den Gedanken und holte seinen Dienstausweis hervor, den er den beiden hinhielt. "Guten Abend. Mein Name ist Carl Lohmann von der Kripo Berlin. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen."
Kurt musterte den Ausweis aufmerksam. "Ihnen auch einen guten Abend. Natürlich können Sie uns Fragen stellen, oder?", sagte er und blickte Zustimmung heischend zu seiner Frau.
"Worum geht es denn", wollte Brigitte wissen.
"Ist Ihnen denn in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches bei Ihrem Nachbarn im dritten Obergeschoss, Herrn Johannes von Nersdorff, aufgefallen?"
"Nein, nichts", antwortete Brigitte zu schnell.
"Sind Sie sich da ganz sicher?", hakte Lohmann nach. Es entstand eine kurze peinliche Pause.
Doch dann setzte Kurt an. "Wenn Sie schon so fragen. Also da… Autsch!"
Brigitte hatte ihren Mann vors Schienbein getreten. Lohmann beäugte die beiden misstrauisch. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nur was? Wie konnte er an dieses seltsame Paar herankommen, überlegte er. Wenn er ihnen etwas entlocken wollte, mussten sie ihm vertrauen. Offensichtlich hatte sie etwas gesehen, sonst würden sie sich nicht so anstellen. Sein Gespür sagte ihm, dass diese Information wichtig war. Vielleicht sogar entscheidend für den Fall. Man konnte nie wissen. Er wusste nur, dass er diese Information unbedingt haben wollte. Nein, haben musste.
"Ich möchte ganz
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