Grote, P
dem Häuschen am Strommast. Das Schild mit dem Totenkopf und dem Hochspannungsblitz, dazu die Aufschrift
înaltă tensiune
hielt ihn nicht ab. Die niedrige Metalltür war angerostet, aber nicht verschlossen. Martin ruckelte und zerrte, bis sie sich öffnen ließ, er war wie von Sinnen, und er war inzwischen überzeugt, mit einem Zodiac als Trophäe wieder an die Oberfläche zu kommen. Erst dann würde er Ruhe haben.
Eiserne Sprossen führten wie in einem Kanalschacht in die Tiefe, und unten schimmerte Licht. Das bestärkte ihn in seinem Vorhaben. Er gelangte ans Ende eines blitzsauberen Tunnels, das Licht verbreiteten kleine Lampen in Bodennähe.
Wonach roch es hier? Martin schnüffelte. Zuerst war da der typische Geruch, flüchtige Säuren, Barrique, Hefe, Lignin und Medizin wie in alten Kellern, das gesamte organoleptische Panorama der Kellerei. Aber er roch noch etwas, das nichts mit Wein zu tun hatte. Es hätte Strom sein können, aber der roch nicht, außer wenn er etwas verschmoren ließ. Waren es heiß gewordene Kabel? Dazu mischte sich ein trockener Luftstrom unter den feuchten. Und schlich sich da in die Stille das kaum hörbare Summen eines Generators, oder war das Summen in seinem Kopf? Daran dachte er beim Weitergehen. Zuvor sah Martin sich um und prägte sich den Standort ein, um den Rückweg zu finden. Viele Anhaltspunkte gab es nicht, ein Ariadnefaden wäre ihm recht gewesen, denn abzweigende Gänge und die Aufschriften der Türen gaben keinen Aufschluss, wegen der Lüftungsschächteallerdings ging er davon aus, dass es mehrere Gänge dieser Art gab. Mit der Schuhsohle zeichnete er einen kaum sichtbaren Pfeil auf dem Fußboden und folgte ihm.
Die ersten Räume zur Linken waren leer. Das Licht reichte nicht bis zu ihrem Ende, die Sockel auf dem Boden mit entsprechenden Ausbuchtungen zeigten, dass hier Fässer gelagert worden waren. Bevor Martin die vierte Tür öffnete, lauschte er und hielt fast den Atem an. Hatte er eine Stimme gehört? Nein, er hatte sich getäuscht. Langsam öffnete er die Tür, sie hätte in den Angeln quietschen können, und tastete nach einem Lichtschalter. Er fand ihn nicht, und als er die Tür weiter öffnete, sah er die lange Reihe der bis unter die Decke gestapelten Flaschen. Der Schwarzschimmel hing in Bärten an ihnen herab wie Flechten von uralten Bäumen. Es war ein Geflecht aus Penizillinbakterien, die sich nur in einem ganz speziellen Klima entwickelten. Es war eine feuchte Kühle, wie er sie in den alten Kellern der Villa Sachsen in Bingen am Rhein zuerst gesehen hatte. Die Flaschen mussten Jahrzehnte hier liegen. Wie üblich hatte man sie nicht etikettiert, denn Bakterien und Pilze hätten das Papier längst aufgefressen. Leider ließ sich dadurch nicht erkennen, wie lange der Wein hier lag. Er würde auf dem Rückweg eine Flasche mitnehmen.
In den nächsten Gewölben sah es ähnlich aus, Martin hielt sich nicht lange auf, der Geruch, eine Mischung aus Fäulnis und Medizin, bereitete ihm Unbehagen. Dann wieder fand er Keller mit großen Fudern, wie es sie auch in anderen Kellereien gab. Am Ende des Tunnels stieß er auf eine Querverbindung zum nächsten Stollen. Waren das entfernte Summen und der Kabelgeruch stärker geworden? Plötzlich hallten Schritte. Sie waren hinter ihm, sie kamen näher. Er sah eine Tür links von sich, wollte sich dort in Sicherheit bringen und riss sie auf – die drei jungen Männer vor ihm starrten ihn an – Martin starrte zurück. Sprachlos waren sie alle, und Schrecken mischte sich in die Gesichter.
Einer der Männer nahm seine Kopfhörer ab, und erst da sah Martin, dass die Wände mit elektronischen Geräten, Schaltelementen, Anzeigen und Monitoren bedeckt waren. Das hier musste eine Computer- oder Funkzentrale sein – oder ein Abhörzentrum?
»Bisher haben Sie sich recht intelligent angestellt! Respekt, Herr Bongers«, sagte eine raue Stimme hinter ihm. »Aber jetzt sind Sie zu weit gegangen.«
Martin erstarrte, er hatte das Gefühl, dass sein Herz gefror, selbst wenn er sich hätte umdrehen wollen, er hätte es nicht gekonnt. Die Beine fühlten sich an wie Blei. Die Angst lähmte ihn. Er fürchtete sich vor dem, was er sah und noch sehen würde. Und als besonders erschreckend empfand er die Tatsache, dass der Mann deutsch gesprochen hatte und seinen Namen kannte.
»Obwohl man auch die Leistung des Gegners bewundern kann, hatte ich gehofft, für Sie und für uns, dass Sie es nicht schaffen würden. Es hätte uns beiden Kummer
Weitere Kostenlose Bücher