Gruber Geht
sie fände, das mache Sinn. Und sie hatte versucht, ihm zu erklären, wieso, während er in karierten Pyjamahosen und einem frischen, weißen T-Shirt auf einem Barhocker an seiner Kücheninsel saß und wie ein folgsamer Schulbub seine Suppe löffelte. Diese Suppe, hatte seine Mutter gesagt, gebe Kraft und stärke seine Abwehr. Aha. Gruber stand ja auf Kriegsfuß mit derartigem küchenesoterischem Geblubber, war das nicht auch einer der Gründe gewesen, seinen Zustand vor seiner Mutter zu verheimlichen? Neben der Tatsache, dass sie, nach einer gewissen, eher kurzen Zeit, es fing gerade schon wieder an, ihn einfach nervte mit ihrer Angewohnheit, ihn ungerührt wie ein Kleinkind zu behandeln. War ein Grund gewesen, auch. Allerdings war er präsuppal zu müde, zu hungrig und zu kraftlos gewesen, um sich gegen die maternale Esoterik-Attacke zu wehren, und danach (war gar nicht so schlecht gewesen, die Zaubersuppe, hatte ganz gut geschmeckt, tatsächlich, kochen konnte sie ja) fühlte er sich augenblicklich so viel besser, dass er, falls die Suppe am Ende tatsächlich dafür verantwortlich war, diese nicht gleich mit dem schlechten Karma seines Argwohns beleidigen wollte. Oder so ähnlich, an Karma glaubte er selbstverständlich nicht. Aber seine Mutter glaubte daran offenbar, wie er ihren begeistert sprudelnden Worten entnahm. Er musste sie dringend wieder aus seiner Wohnung bekommen, sonst rafften die unweigerlichen Kopfschmerzen ob ihres Geplappers die Wirkung der Suppe sofort dahin. Ihre einst schulterlangen schwarzen Haare waren jetzt kurz und silbrig. Sie sah deutsch aus, irgendwie. Aufgeräumter als früher. Auf eine cleane Weise protestantisch; es passte zu ihrem klaren, missionarischen Charakter. Sarah hatte das auch, so einen klaren Charakter, aber zum Glück ohne das Missionarische. Jedenfalls, soweit Gruber das beurteilen konnte. Und sie hatte glücklicherweise ganz andere Haare.
«Sarah», sagt Gruber, «Sarah, abgesehen davon, dass ich im Moment einfach nicht die Kraft habe, mich mit so etwas wie Kinderkriegen zu beschäftigen: Ich weiß ja nicht einmal, wie das ausgeht.»
«Ich weiß», sagt Sarah.
«Willst du das wirklich riskieren?», sagt Gruber, «ist dir das wirklich wurscht? Willst du das deinem Kind wirklich antun, dass es vielleicht, wahrscheinlich keinen Vater hat?»
Gruber schaut Sarah an und dann hinunter auf seinen Teller. Und willst du, denkt Gruber und fällt schlagartig zurück in die Depressionsstufe, willst du es mir wirklich antun, dass ich ein Kind haben werde, das ich vielleicht nie richtig kennenlernen kann? Fünf California-Maki liegen noch auf seinem Teller. Ein Kind, das ich vielleicht nicht aufwachsen sehe? Und ein paar Sushi, zweimal Lachs, einmal Butterfisch. Von dem ich nur so ein kleines Stück erlebe, und das Stück finde ich dann unglaublich toll und das Gehen wird vielleicht noch schwerer? Einmal Tuna, einmal Aal, einmal Eierstich. Ihm ist es nicht wurscht. Und das Surimi. Es ist ihm gar nicht wurscht. Er will auch nicht über das Sterben nachdenken oder darüber, was er dabei verliert. Das Surimi hebt er sich immer bis zum Schluss auf, das Surimi isst er immer zuletzt. Er vermeidet das normalerweise, ans Sterben zu denken, und jetzt zwingt sie ihn dazu.
«John.»
Sarah schaut ihm sehr gerade ins Gesicht jetzt. Sie hat darüber nachgedacht.
«Ich habe darüber nachgedacht, John. Aber erstens», sagt Sarah, und ihre Stäbchen zittern jetzt nicht mehr, «erstens, glaube ich nicht, dass du stirbst, John». Sie sieht ihn immer noch an. «John, ich glaube, du bleibst mir. Ich habe das im Gespür, dass du mir bleibst. Aus dem Sterben wird nichts. Und ich will, dass du mir bleibst, nicht nur wegen dem Kind. Ich will, dass du bleibst. Und du willst auch bleiben, vielleicht nicht bei mir, aber du willst bleiben. Und du wirst bleiben.»
Gruber weicht ihrem Blick aus. Isst ein Maki und noch ein Maki. Das ist ihm jetzt. Das ist irgendwie too much jetzt. Und isst ein Sushi. Und trinkt Bier. Lehnt sich wieder zurück. Das geht ihm irgendwie zu schnell. Und zu weit. Gruber mag das nicht, wenn andere weiter denken als er, sich alles schon ausgedacht und vorausgeplant haben, speziell nicht, wenn er darin vorkommt. Er gabelt sich das Stück mit dem Aal und widmet ihm ein wenig Aufmerksamkeit. Er findet das. Also.
«Zweitens», sagt Sarah. «Vielleicht ist das Kind kein Zufall, John? Du musst nicht glauben, dass ich mir das nicht alles auch überlegt habe. Ich habe. Ich war bei der
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