Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
zermalmen und im Asphalt der Straße versinken, hinein in die uralten Flüsse, die unter der Erde verliefen. Am liebsten hätte er gegen irgend etwas getreten, wäre ausgestiegen und hätte seine Lungen oder vielleicht auch die Tränengänge freigemacht, und seine Finger lagen auch schon am Türgriff, als Norm ihn am Handgelenk packte.
    Heiß war es im VW-Bus. Und Norm: die häßliche schwarze Brille mit dem Plastikrahmen, die Goldzähne, die in seinem Grinsen aufblitzten wie im Traum eines Goldsuchers. Er hielt die Thermosflasche hoch, als wäre sie die Lösung aller Probleme, der Schlüssel, der Preis, der Gral, der hier auf einem silbernen Tablett heimgetragen wurde. Marco entspannte sich und nahm den leicht verschmutzten weißen Becher mit dem Plastikgewinde entgegen. »Einer für dich«, sagte Norm und schenkte ihm ein. »Und einer«, er kippte die Thermosflasche so, daß die weiße Kunststofföffnung von dem dunklen Gewirr seines Barts verschlungen wurde, »für mich.«
    Auf der Rückfahrt fühlte sich Marco überhaupt nicht auf Trip, und dann plötzlich doch. Er hatte kein Kribbeln in den Gliedmaßen, kein Gefühl der Körperlosigkeit, keine Lichtblitze, keinen Persönlichkeitsverlust – es überkam ihn eher so, als wäre er in eine Decke gehüllt, festgeschnallt und in eine Krippe gelegt worden, als wäre es Nacht und er träumte für jemand anderen dessen Traum. Norm war ausnahmsweise still. Und Marco selbst hätte gar nicht sprechen können. Er saß nicht vorn in einem VW-Bus, der eine Landstraße entlangbrauste, hinter sich den schlängelnden Fluß wie ein helles, flatterndes Banner, sondern in einem Zimmer, in einem Bauernhaus oder vielleicht irgendwo in einer Mietwohnung, und das Zimmer war vollgestopft mit geerbten und angesammelten Sachen: Sideboards, Polstersessel, eine Kommode, Steppdecken, Sofaschoner, Nippesfiguren, Ramsch. Es stand ein Bett in dem Zimmer – ein wuchtiges Himmelbett, auf dem sich die Decken nur so türmten –, und in dem Bett lag ein alter Mann, bleich, ausgezehrt, und die Nase ragte ihm aus dem Gesicht, als gehörte sie gar nicht dazu. Es war eine sehr konventionelle Szene, ein Sterbezimmer, irgendeines Menschen Zukunft oder Vergangenheit, äußerst konventionell, bis auf eine einzige Ungereimtheit: von der Wand über dem Bett hing ein Paar Schneeschuhe herab. Der bewußte Rest seines Verstandes hielt ihn zurück: War das ein Foto, das er irgendwo gesehen hatte? Eine Kindheitserinnerung? Aus dem Fernsehen? Oder war er einfach aus seinem Körper getreten und jetzt außerstande, wieder zurückzukehren? So war das eben bei Acid. Er mochte Acid nicht, hatte es nie gemocht, auch als er noch viel mehr auf Drogen stand als jetzt.
    Norm murmelte etwas – unsinniges Gebrabbel? Oder nein, er sang, sehr leise und brummig, ein Lied wie in einer Privatsprache –, und da waren sie wieder, fuhren unter den Bäumen entlang, dann unter freiem Himmel, bewegten sich durch die Welt der Sinne, als wären sie ihre Eigentümer. »Spürst du schon was?« wollte Norm wissen. »Also, ich spür nämlich noch gar nichts, oder vielleicht gerade mal den Anfang von etwas, aber eigentlich frag ich mich, ob die wohl vergessen haben, uns Saft in unseren Saft zu tun, oder was?«
    Marco wollte ihm sagen, daß er jedenfalls eine Menge spürte, sich beinahe schon besessen vorkam, innerlich aufgestaut und angespannt, doch er bekam keine Gelegenheit dazu – eine neue Vision sprang vom Straßenrand auf und warf sich vor den VW-Bus, ein massiger dunkler Schemen in voller Bewegung, und das war keineswegs Halluzination, sondern ein höchst reales und tatsächliches Ding, das Norm unvermittelt die Hände heftig ums Lenkrad krallen ließ und seine Absichten ernsthaft durchkreuzte. Was war das? Das Pferd. Charley Horse. Das Tier erhob Anspruch auf den Verkehrsraum und schüttelte dümmlich den Kopf, während Norm hilflos am Lenkrad kurbelte und der VW-Bus eine Art Zirkustrick vollführte und auf zwei dünnen Reifen balancierte.
    Die Straße besaß zwei Spuren und wurde damit zusehends zum Ballungsort zerstörerischer Kräfte, denn Norms dahintänzelnder Bus steuerte rasend schnell auf denselben Punkt zu wie ein entgegenkommender Pickup, in dem nun zwei entsetzte Gesichter, das eines Mannes und das einer Frau, erkennbar wurden. Donner und Blitz: der VW-Bus schleuderte unsanft nach links, und rechts sah Marco das Pferd immer größer werden, bevor er den Ruck der ersten Kollision fühlte, der das Tier durch den Anprall

Weitere Kostenlose Bücher