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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Ufereis bildete.
    Bosky flog zu schnell auf sie zu. Er hatte damit gerechnet, daß sie weiter Kurs stromaufwärts hielten und gegen die Strömung kämpften, daher schwoll der Motorenlärm rapide an, und die Schwimmer zischten an ihnen vorbei, bevor er sich hinausbeugen und nochmals feuern konnte. Sess aber war bereit: er ließ das Kanu längsseits in die Strömung schwingen, während vorn Pamela das Steuern übernahm, und er gab drei Schüsse ab, drei kupferummantelte Dankesbriefchen, die er in den brodelnden Kessel des Himmels feuerte und die wahrscheinlich nichts als die Luft durchlöcherten. Er konnte es nicht beurteilen. Er konnte es nicht wissen. Zu sehr durchpulste ihn das Adrenalin, als daß er Wut oder Empörung verspürt hätte. Er legte das Gewehr wieder hin und griff nach dem Paddel, einen Augenblick später schob sich der Bug knirschend in das Ufereis, und sie erreichten die Deckung der Bäume.
    Alles war still. Harter, prasselnder Schnee wurde vom Wind herangepeitscht und fiel vom Himmel, als hätte er seine Erlösung erwartet. Jetzt hörte Sess den Fluß, er hörte die Eisschollen auf dem Wasser knirschen und schaben, ein Geräusch, als würden zwei feuchte Hände gerieben, und er hörte Pamela. Sie saß mit hochgezogenen Schultern da, ein Schatten in den noch tieferen Schatten, und sie weinte so leise, daß er zunächst dachte, es sei das Gewisper der Schneekristalle, die zischend zwischen den letzten Grashalmen landeten. Am Boden des Kanus stand das Wasser jetzt fünf Zentimeter hoch, mindestens fünf, und ihre Füße – sie trugen knöchelhohe Wanderstiefel aus Wildleder, ihr allerbestes Schuhwerk für den Ausflug in die Stadt – waren naß. Sie hatten keine Schlafsäcke, keine Plane für den Boden, keinZelt dabei, denn wer brauchte schon ein Zelt im Williwaw Motor Inn? »Alles in Ordnung, Pamela«, sagte er, obwohl ihm die Worte in der Kehle steckenblieben, »alles ist in Ordnung, alles wird wieder gut.«
    Am wichtigsten wäre ein Feuer gewesen, aber er hatte Angst, Feuer zu machen, weil Bosky es vielleicht sehen und sie noch einmal aufs Korn nehmen würde, deshalb konzentrierte er sich darauf, das Kanu an Land zu ziehen, die nassen Einkäufe, die nassen Kleider, die Vorräte, das Werkzeug und all die übrigen Sachen auszuladen, und dann lehnte er das Boot als Windschutz gegen einen Baum. Pamela ging ihm zur Hand, und sie brauchten nicht zu sprechen, brauchten kein Wort zu sagen, sie arbeiteten einträchtig miteinander, luden alles aus, schnitten Fichtenzweige, die sie unter das Kanu legten, und sammelten Treibholz für ein Feuer, falls sie ein Feuer anzünden würden, darüber müßten sie später nachdenken. In der Zwischenzeit wurde der fallende Schnee noch härter, er prallte wie Kügelchen von ihren Kapuzen und Ärmeln ab und fiel mit dem leisen Rieselgeräusch von Reis, der aus einem Sack rinnt, zu Boden, und bald füllte sich das dunkle Nichts des Flußufers mit dieser bleich leuchtenden Substanz. »Er kommt doch nicht noch mal zurück, oder, Sess?« fragte Pamela.
    Er sah sie an, ihre gebeugte Gestalt, die Holz stapelte und die Worte in rasch hervorgestoßenen Dampfwölkchen aus dem Mund entließ. »Nein«, sagte er, »nicht bei diesem Wetter, und ich hoffe nur, daß das Arschloch irgendwo abstürzt und bis zur Unkenntlichkeit verbrennt. Ist das zu fassen? Kannst du glauben, daß er tatsächlich auf uns geschossen hat? Ich hab’s ja gesagt, Pamela. Ich hab’s dir von Anfang an gesagt, aber du wolltest ja nicht hören.«
    Sie warteten eine halbe Stunde, dann hielten sie ein Streichholz an ein Stück eingerollte Birkenrinde, und das Holz fing Feuer. Sie trockneten ihre Schuhe, ihre Socken, ihre Füße. Pamela zog eine feuchte Schachtel mit Crackern aus einer zerfetzten Einkaufstüte, sie teilten sich den Inhalt mit ein paar Scheiben Cheddarkäse darauf und ließen ihre inneren Motoren ein wenig zur Ruhe kommen. Das Wetter sah ganz nach dem ersten Schneesturm des Jahres aus – es hatte alles, was dazugehörte: beißenden Wind, Schnee in festen Kügelchen, Temperaturen um minus fünf Grad, und Sess bezweifelte nicht, daß es bald noch kälter werden und das Zeug als Pulverschnee runterkommen würde –, und ihnen blieb nur ein sehr schmales Zeitfenster, wenn sie das Kanu und seine kostbare Ladung noch vor dem nächsten Frühjahr zum Thirtymile bringen wollten. Nach einer Weile stand er auf und durchwühlte das Gepäck, bis er ein Paar seiner neuen Biwak-Thermosocken gefunden hatte

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