Grün wie die Hoffnung: Roman (German Edition)
unserer Mutter zu den Klippen gegangen. Sie hatte mich darum gebeten, dass ich den Zauber zu brechen versuchte.«
»Es ist kein Zauber.«
»Ich dachte, hoffte, wenn ich die Kreatur, die dich gemacht hatte, vernichten würde … Und wenn mir das nicht gelänge, wollte ich töten, was aus dir geworden war.«
»Und keins von beidem ist dir gelungen«, erinnerte Cian ihn. »Das zeigt dir, mit wem du es zu tun hast. Ich war noch unerfahren und wusste kaum, was ich war oder wozu ich fähig war. Glaub mir, sie ist wesentlich gerissener.«
»Wirst du an meiner Seite sein?«
»Du hast wenig Aussichten, den Kampf zu gewinnen.«
»Du unterschätzt mich. Ich habe sogar große Aussichten. Ob ein Jahr oder ein Jahrtausend Vergangenheit: Du bist mein Bruder. Mein Zwilling. Mein Blut. Du hast doch selbst gesagt, dass es letztlich um Blut geht.«
Cian fuhr mit dem Finger am Rand seines Weinglases entlang. »Ich gehe mit dir.«
Er hob die Hand, bevor Hoyt etwas sagen konnte. »Weil ich neugierig bin und mich langweile. Ich bin seit mehr als zehn Jahren an diesem Ort, also ist es ohnehin Zeit, weiterzuziehen. Ich verspreche dir nichts. Verlass dich nicht auf mich, Hoyt, ich kümmere mich in erster Linie um mein eigenes Wohlergehen.«
»Du darfst keine Menschen jagen.«
»Jetzt schon Befehle?« Cian verzog amüsiert die Mundwinkel. »Typisch. Wie ich bereits sagte, mein eigenes Wohlergehen kommt an erster Stelle. Zufällig habe ich seit achthundert Jahren kein Menschenblut mehr zu mir genommen. Nun ja, siebenhundertfünfzig Jahre – ich hatte einen kleinen Rückfall.«
»Warum?«
»Um mir zu beweisen, dass ich widerstehen kann. Und weil es ein weiterer Weg ist, um in der Welt der Menschen mit ihren Gesetzen – auf angenehme Art – zu überleben. Wenn sie Beute sind, dann sieht man sie nur als Mahlzeiten, und es fällt einem schwer, Geschäfte mit ihnen zu machen. Außerdem hinterlässt der Tod meistens Spuren. Der Morgen dämmert.«
Verwirrt blickte Hoyt sich in dem fensterlosen Raum um. »Woher weißt du das?«
»Ich fühle es. Und ich bin die Fragerei leid. Du wirst im Moment bei mir bleiben müssen. Durch die Stadt kann ich dich leider nicht alleine laufen lassen. Wir sind zwar keine eineiigen Zwillinge, aber du siehst mir trotzdem viel zu ähnlich. Und diese Kleider müssen weg.«
»Soll ich etwa – wie heißt das da?«
»Das ist eine Hose«, erwiderte Cian trocken und ging durch das Zimmer auf einen privaten Aufzug zu. »Ich habe eine Wohnung hier, das macht es einfacher.«
»Pack ein, was du brauchst, und dann brechen wir auf.«
»Ich reise nicht bei Tag, und Befehle nehme ich auch nicht entgegen. Ich gebe sie höchstens selbst. Außerdem muss ich einiges erledigen, bevor ich wegfahren kann. Du musst hier hineintreten.«
»Was ist das?« Hoyt stieß mit seinem Stab gegen die Wände des Aufzugs.
»Eine Art Transportmittel. Es bringt uns zu meiner Wohnung.«
»Wie?«
Cian fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Hör mal, ich habe Bücher da oben und andere Lehrmittel. Du kannst dich die nächsten Stunden damit beschäftigen, dich über die Kultur, die Mode und die Technologie des einundzwanzigsten Jahrhunderts schlau zu machen.«
»Was ist Technologie?«
Cian zog seinen Bruder in die Kabine und drückte den Knopf für das nächste Stockwerk. »Es ist eine Art Gott.«
Diese Welt war voller Wunder. Hoyt wünschte, er hätte Zeit genug, um alles aufnehmen zu können. Das Zimmer wurde nicht von Fackeln erhellt, sondern von etwas, was Cian als elektrisches Licht bezeichnete. Das Essen wurde in einem Kasten aufbewahrt, der so groß war wie ein Mann. Angeblich blieb es darin kalt und frisch, und dann brauchte man noch einen weiteren Kasten, in dem es warm gemacht und gekocht wurde. Wasser lief aus der Wand in eine Schüssel hinein, woraus es wieder abfloss.
Das Haus, in dem Cian wohnte, war hoch oben in der Stadt gebaut, und was für eine Stadt! Der Blick, den Morrigan ihm gewährt hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was er durch die Glaswand in Cians Wohnung sehen konnte.
Hoyt dachte, dass wohl selbst die Götter von der Größe dieses New York erstaunt sein müssten. Er hätte gerne noch einmal hingeschaut, aber Cian hatte ihn schwören lassen, dass er die Glaswände bedeckt hielt und sich nicht aus dem Haus wagte.
Wohnung, korrigierte Hoyt sich. Cian hatte es eine Wohnung genannt.
Er hatte Bücher, so viele Bücher, und einen Zauberkasten, den Cian Fernseher genannt hatte. Er enthielt zahlreiche
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