Grün wie ein Augustapfel
aufgehalten, er hätte schon vor einer halben Stunde auf der Baupolizei sein sollen. Es wurde ein allgemeiner Aufbruch. Herr Balzer mußte ins Geschäft zurück. Viktoria hatte noch Einkäufe zu erledigen. Sie mußte am Abend den jungen Leuten schließlich etwas vorsetzen. Gregor schüttelte Guntram die Hand.
»Schönen Dank«, murmelte er, »für alles... Sie verstehen schon, wie ich es meine.«
»Besuchen Sie mich doch mal im Hotel, Gregor. Vielleicht morgen zum Abendessen. Wir müssen mal ganz unter uns Männern miteinander reden.«
»Gern, Herr Guntram.« Er verschwand in seinem Zimmer, während Manuela Herrn Balzer zur Tür begleitete. Guntram verabschiedete sich von Viktoria. Sie hatte das Gespräch verfolgt, aber sie hatte sich nicht daran beteiligt, sie machte einen angegriffenen und niedergeschlagenen Eindruck.
»Ich weiß, was Sie bewegt«, sagte Guntram zart und hielt ihre Hand, als müsse er sie wärmen.
»Es ist kein sehr angenehmes Gefühl, ein Versager zu sein«, sagte sie tonlos. »Und ich habe auf der ganzen Linie Konkurs gemacht. Daheim und im Geschäft.« Ihr rollten plötzlich zwei Tränen aus den Augen und zerplatzten auf seiner Hand.
»Das ist einfach nicht wahr, Viktoria«, sagte er ruhig und sehr bestimmt, »es gibt keinen Konkurs ohne Substanzverluste. Aber Sie haben nichts verloren. Weder die Kinder noch das Geschäft. Gewiß, es sind kleine Schwierigkeiten aufgetreten, aber wenn Sie meine Freundschaft zur Masse schlagen, dann gleicht sich das Gewicht wieder aus.«
»Sie sind uns wirklich, ein guter Freund geworden«, sagte sie mit einem kleinen Schluchzen, »ich weiß nicht, wie ich ohne Sie mit allem fertig geworden wäre.«
Manuela schloß hinter Herrn Balzer die Tür. Sie zog sich vor dem Garderobenspiegel die Lippen nach, ehe sie ins Wohnzimmer zurückkehrte. Sie sah Guntrams Rücken, und über seiner rechten Schulter, als lehne sie sich mit der Stirn gegen ihn, Viktorias kupfernes Haar.
»Hallo, Bert«, sagte sie munter, »würdest du mich in die Stadt mitnehmen und vor dem Polizeipräsidium absetzen? Vielleicht erwische ich Klaus Adami in seiner Stammkneipe.«
»Selbstverständlich.«
»Wie lange hast du auf der Polizei zu tun?« fragte sie, als sie neben ihm im Wagen saß.
»Voraussichtlich eine halbe Stunde.«
»Und was tust du dann?«
»Dann fahre ich ins Hotel, um zu essen.«
»Darf ich mich dazu einladen?«
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, sagte er und begann, nach einem Parkplatz Ausschau zu halten, »und außerdem wird dich der Ober im >Reichsadler<, der mich dort seit zehn Jahren bedient, gewiß nicht für meine Tochter halten.«
»Komplexe?« fragte sie und musterte ihn von der Seite.
»Ein bißchen«, gab er zu. »Übrigens hat meinem Freund Hellwig ein junges Mädchen vor einigen Wochen in der Trambahn ihren Platz angeboten. Er hat die Erschütterung darüber heute noch nicht ganz überwunden.«
Er fand eine Parklücke und schwenkte rechts ein.
»Man sollte von einem gewissen Alter ab eben nur noch Auto fahren«, meinte Manuela und stieg aus dem Wagen. Sie küßte die Spitze ihres Mittelfingers und schnippte ihm den Kuß zu, ehe sie um die Straßenecke verschwand.
22
Im Hotel wechselte Guntram die Wäsche und den Anzug. Er hatte den sandfarbenen Mohairanzug vier Tage lang getragen, die Hose brauchte eine neue Bügelfalte, und die Jacke eine chemische Reinigung. Er legte beides auf einen Stuhl und einen Zettel mit einer Anweisung für das Zimmermädchen dazu.
Der Himmel hatte sich inzwischen bedeckt. Es regnete noch nicht, aber die Wolken hingen niedrig über den Dächern, und ein böiger Westwind schob eine Gewitterwand heran. Man konnte wärmere Kleidung vertragen, und Guntram wählte zur hechtgrauen Hose eine dunkle Homespunjacke. Das Hotel hatte zwei Speiseräume. Guntram betrat den kleineren, in dem es ein paar Tische gab, die durch beranktes Gitterwerk voneinander getrennt waren. Der Ober Heinrich schlurfte plattfüßig, aber diensteifrig herbei und nuschelte die Komplimente herunter, mit denen er seine Vorzugsgäste zu begrüßen pflegte.
»Und was nehmen wir heute, Herr Architekt? Eine frische Seezunge vielleicht? Oder ein Herzchen, in pikanter Soße gedünstet? Ganz hervorragend.«
»Ich erwarte eine junge Dame, Heinrich.«
»Eine junge Dame, eine junge Dame«, nuschelte Heinrich, »in diesem Falle wäre die »Ungarische Rhapsodie< zu empfehlen — was meinen Sie?«
Die »Ungarische Rhapsodie< war eine Spezialplatte des Hauses. Sie
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