Grünes Gift
Boden zu schmettern. Doch sein Vorhaben scheiterte. Statt dessen brannte die Scheibe ein Loch durch sein Jackett. Es ging so schnell, daß er nicht den geringsten Widerstand gespürt hatte. Sie mußte glatt hindurchgegangen sein wie ein Messer durch zimmerwarme Butter.
»Eugene!« schrie Nancy erneut. »Nun komm doch endlich!« Doch Eugene war mit Leib und Seele Physiker, und was er da sah, zog ihn total in den Bann. Um die Scheibe herum bildete sich plötzlich ein heller Kranz, dann änderte sie ihre Farbe: Sie glühte nicht mehr rot, sondern weiß. Das Kribbeln in seiner Haut wurde immer stärker.
Im Nu wuchs der die Scheibe umgebende Kranz zu einer grellen Lichtkugel, in der die Scheibe selbst nicht mehr zu sehen war.
Jetzt sah auch Nancy, was Eugene so faszinierte. Sie wollte gerade ein weiteres Mal nach ihm rufen, als sich die helle Lichtkugel plötzlich ausdehnte und ihren Mann mit Haut und Haaren verschlang. Eugene schrie, doch seine Stimme wurde von einem seltsamen Zischen erstickt, das immer lauter wurde und schließlich zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll. Dann brach das Zischen abrupt ab. Nancy und Sheila spürten eine Erschütterung, als hätte es eine lautlose Explosion gegeben.
Eugene war verschwunden. Von dem Mietwagen war nur noch ein merkwürdig verbogenes Gebilde übriggeblieben. Es sah aus, als wäre das Auto geschmolzen und dorthin gezogen worden, wo Eugene gestanden hatte.
Nancy wollte den Hügel hinunterlaufen, doch Sheila hielt sie fest.
»Nein!«, schrie sie. »Wir dürfen da nicht runtergehen!« Neben dem Autowrack bildete sich gerade ein weiterer Lichtkranz.
»Eugene!« rief Nancy verzweifelt. Dann brach sie in Tränen aus.
»Er ist weg«, stellte Sheila fest. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
Die zweite Lichtkugel wuchs schnell an und umschloß im Nu das Autowrack.
Sheila packte Nancy am Arm und zerrte sie über den Hügel, der Stadt entgegen. Vor sich sahen sie die rollende Blechlawine - und, was noch besser war, Tausende von Fußgängern. Hinter sich hörten sie ein zweites Mal das seltsame Zischen, dann spürten sie eine weitere Erschütterung.
»Was, um Himmels willen, war das?« fragte Nancy mit tränenerstickter Stimme.
»Wahrscheinlich dachten sie, wir sind noch im Auto«, erwiderte Sheila.
»Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, daß wir gerade Zeugen der Kreation von zwei schwarzen Löchern im Miniaturformat waren.«
»Warum haben wir immer noch nichts von ihnen gehört?« fragte Jonathan. Je mehr der Tag sich dem Ende zuneigte, desto unruhiger wurde er. Inzwischen war es dunkel, und er machte sich Sorgen. »In Atlanta ist es doch noch später als bei uns.«
Jesse, Cassy, Pitt und Jonathan saßen in Jesses Auto und fuhren im Schrittempo die Straße entlang, in der die Seilers wohnten. Sie waren schon zweimal an dem Haus vorbeigefahren. Jesse war zunächst dagegen gewesen, das Haus aufzusuchen, hatte aber schließlich nachgegeben, weil Jonathan sich unbedingt Wechselkleidung und seinen Laptop holen wollte. Außerdem wollte er nachsehen, ob seine Eltern angerufen oder ihm eine E-Mail geschickt hatten. »Wahrscheinlich haben deine Eltern und Dr. Miller verdammt viel um die Ohren«, versuchte Cassy ihn zu beruhigen, doch in Wahrheit machte sie sich selber große Sorgen. »Was meinen Sie, Jesse?« fragte Pitt, als sie sich dem Haus der Seilers zum drittenmal näherten. »Ist die Luft rein?«
»Ich glaube ja«, erwiderte Jesse. »Jedenfalls sehe ich nichts, das auf eine Überwachung hindeutet. Versuchen wir unser Glück! Aber wir sollten uns so schnell wie möglich wieder aus dem Staub machen.«
Er bog in die Einfahrt und schaltete das Licht aus. Doch anstatt sofort hineinzugehen, bestand er darauf, noch ein paar Minuten zu warten, um zu sehen, ob sich in den Nachbarhäusern oder den am Straßenrand geparkten Autos etwas tat. Aber es blieb alles ruhig.
»Okay«, sagte er schließlich. »Auf geht’s.«
Sie öffneten die Haustür und gingen hinein. Jonathan lief sofort nach oben in sein Zimmer. Jesse schaltete den Fernseher in der Küche ein und nahm sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Cassy und Pitt bot er ebenfalls eins an. Pitt nahm eine Dose, Cassy lehnte ab. Sie sahen CNN.
»Und nun noch eine brandaktuelle Nachricht«, verkündete der Sprecher. »Vor ein paar Minuten hat das Weiße Haus das internationale Gipfeltreffen zur Terrorismusbekämpfung abgesagt. Wie es heißt, ist der Präsident an einer Grippe erkrankt.
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