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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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aufgewachsen war. Ihre Großeltern väterlicherseits waren Edelsteinhändler in Persien gewesen und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Indien ausgewandert, als sie hörten, dass es dort mit den Briten besonders kaufkräftige Kunden gab. Als ihre Mutter bei der Geburt des zweiten Kindes starb, war Qamar Jehan erst vier Jahre alt. Ihr Vater heiratete daraufhin die Schwester seiner verstorbenen Frau.
    Nach dem Tod der Mutter musste Qamar Jehan schon früh große Verantwortung in der Familie übernehmen, sie zog ihren Bruder mit auf. Deshalb besuchte sie nie die Schule, Lesen und Schreiben lernte sie zu Hause von Verwandten. Da in der Familie viel Englisch gesprochen wurde, verstand sie auch diese Sprache, sprach sie aber nie selbst. Sie wuchs in dem Glauben auf, dass Gott alles, was man anderen Menschen gibt, doppelt und dreifach zurückzahlt.
    Einmal hatte sie einem Bettler, der an die Tür geklopft hatte, eine beträchtliche Summe Geld gegeben, das sie eigentlich selbst für Lebensmitteleinkäufe benötigte. »Aber er tat mir leid, er muss ja wirklich arm gewesen sein, sonst hätte er nicht die Schande auf sich genommen, wildfremde Menschen um Geld zu bitten«, erzählte mir meine Großmutter. »Als ich am nächsten Tag aufwachte, fand ich die doppelte Summe, die ich dem Mann gegeben hatte, unter meinem Kopfkissen.«
    Mir ist nicht klar, ob meine Großmutter diese Geschichte erfunden hat, um ihre Mitmenschen von der Notwendigkeit des Almosengebens – immerhin eine der fünf islamischen Pflichten – zu überzeugen, oder ob sie das Erzählte wirklich erlebt hat; jedenfalls hat sie nie die Frage geäußert, wer außer Gott persönlich das Geld unter ihr Kissen gelegt haben könnte.
    Als Manzoor Ali Naqvi seine Frau heiratete, verdiente er als junger Bauingenieur nur neunzig Rupien im Monat – sein Schwiegervater, ein griesgrämiger Anwalt, nahm achthundert Rupien im Monat ein. Die Tochter eines reichen Mannes zu heiraten, war für ihn ein Anreiz, selbst mehr Geld zu verdienen.
    Das Paar bekam insgesamt vierzehn Kinder – Mitte des 20. Jahrhunderts in Südasien nichts Ungewöhnliches. Zwölf Kinder überlebten. Ein Zwillingskind starb schon zwei Wochen nach seiner Geburt. »Die beiden Säuglinge waren Mädchen und Albinos dazu. Sie kamen sehr kränklich zur Welt. Meiner Oma wäre am liebsten gewesen, wenn beide gestorben wären«, erinnert sich meine Mutter. Mädchen waren unbeliebt – bis heute wünschen sich viele Eltern in Indien und Pakistan lieber Söhne –, und was sollte aus zwei so hellhäutigen Mädchen schon werden? Die Ärzte hatten empfohlen, die beiden Kinder voneinander fernzuhalten, um Ansteckungsgefahr zu vermeiden. »Aber meine Oma legte sie absichtlich, ohne Wissen meiner Mutter, nebeneinander ins selbe Bett und fütterte sie mit derselben Flasche.« Ein Mädchen – meine Tante Zarina – überlebte.
    Später, in Karatschi, arbeitete Manzoor Ali Naqvi als Städteplaner und übernahm die Leitung von Projekten wie dem Bau eines Stadions und dem Gebäude der pakistanischen Atomenergiebehörde. Sein Ruf als exzellenter Architekt ließ auch andere Stadtverwaltungen auf ihn aufmerksam werden.
    Beruflich lief es also gut für meinen Großvater, sein Wunsch nach einem finanziell sorgenfreien Leben hatte sich für ihn und seine Familie erfüllt. Er konnte sich ein großes, kastenförmiges Haus in einem Wohngebiet nahe der
Tariq Road
leisten, der Haupteinkaufsstraße in Karatschi, eine weitläufige, weiß verputzte Villa mit einem großen Garten auf der Rückseite des Hauses, umsäumt von Kokospalmen, Papayabäumen und Bananenstauden. Ich erinnere mich, dass in einer Ecke des Gartens ein Chamäleon lebte.
    Meine Mutter liebte dieses Haus als Kind. Es bot Platz zum Spielen, Platz für Freundinnen, die sie regelmäßig besuchten. Ihr ältester Bruder Sarwar war schon zum Studium nach England gezogen, ihre älteste Schwester Suraiya hatte sich mit ihrem Mann, einem in Pakistan berühmten Schauspieler und Radiomoderator, eine eigene Wohnung in ein paar Kilometern Entfernung genommen. Suraiya kam gerne und oft zu Besuch, häufig tauchten auch einige der unzähligen Cousins und Cousinen auf.
    Anfang der Sechzigerjahre waren Suraiya und ihre Mutter Qamar Jehan gleichzeitig schwanger: Suraiya mit dem ersten von zwei Söhnen, Qamar Jehan mit dem letzten ihrer Kinder, einer Tochter. Es war also immer etwas los bei den Naqvis, und der Hausangestellte Sharif hatte jeden Tag eine Menge für die vielen

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