Gruenkohl und Curry
Bewohner des Hauses zu kochen. Auf dem Gasherd brodelte es in riesigen Blechtöpfen. Selbst wenn Besuch kam, war genügend da – oder Sharif schaffte es, schnell für alle etwas zuzubereiten. Sharif lebte, wie es für Hausangestellte üblich war, in der Familie, für die er arbeitete.
Im hinteren Teil des Gartens lagen die Unterkünfte für die Bediensteten, für Sharif, für den zweiten Koch Ahmed und für den Fahrer Sattar, der sich um den schwarzen Opel und später um den neuen silbernen Mercedes kümmerte, Autos, die Manzoor Ali Naqvi sich seit den Sechzigerjahren leistete. Vor seinem Haus sollten immer zwei Limousinen stehen. Der Mercedes hatte eine durchgehende Vorderbank aus Leder und war ein echter Hingucker. Gelegentlich fuhr Sattar die Kinder zur Schule – bis er eines Tages, bei der Reparatur eines Motors, einen Metallsplitter ins Auge bekam und auf diesem erblindete. Sattar kündigte und verließ die Familie. Niemand weiß, was aus ihm geworden ist.
Auch Sharif hatte kein glückliches Leben: Er bewohnte eine kleine Kammer, in der er schlief und wo er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrte. »Eines Tages wurde der arme Sharif plötzlich krank. Er lag auf seiner Pritsche, ihm ging es nicht gut«, sagt meine Mutter. Seine Hände waren eingebunden, und er konnte sich kaum noch bewegen vor Schwäche. »Wahrscheinlich könnte man ihm heutzutage medizinisch helfen, aber damals, Mitte der Sechziger, war das nicht möglich.«
Sharif lag wochenlang in seinem Zimmer und ständig riet ihm irgendein Besucher eine neue absurde Therapie.
»Du solltest keine Eier essen.«
»Du solltest kein Fleisch essen.«
»Du warst nie verheiratet, es ist die überschüssige Hitze in dir, die dich krank macht.«
Am Ende aß Sharif nichts mehr, er war nur noch ein dürres Häufchen Elend. Irgendwann packte er mit letzter Kraft seine Sachen und verschwand für immer.
Nach der Schule half nun meine Mutter Ahmed in der Küche, der alleine überfordert gewesen wäre, für so viele Menschen zu kochen. Qamar Jehan und Ahmed brachten meiner Mutter bei, die komplizierten Gewürzpasten zu mischen.
»Egal welches Curry du machst, erst brätst du Zwiebeln und Knoblauch an, danach gibst du die Gewürzmischung dazu. Es ist wichtig, dass du die Gewürze ein paar Minuten anbrätst, bevor du Fleisch oder Gemüse und Wasser dazugibst«, erklärte ihr Qamar Jehan. »Sonst sind die Gewürze unverträglich und verderben den Magen.«
Meine Mutter schnitt Gemüse und Fleisch, bereitete Fladenbrote zu, kochte Berge an Reis. Und ständig zischten Zwiebelringe in
Ghee
, geklärter Butter. »Noch heute, wenn ich Ingwer schneide und meine Finger danach riechen, sehe ich das weiße Haus in Karatschi vor mir, in dem ich aufgewachsen bin, sehe den großen Garten und wie die Sonne dort aufs Gras brennt«, sagt sie gelegentlich. »Es war eine schöne Zeit.«
Jedes der Geschwister meiner Mutter hatte eine oder mehrere Aufgaben im Haushalt. Meine Mutter kochte, und Qamar Jehan bezahlte sie gelegentlich sogar dafür, weil das angesichts der Mengen, die sie Tag für Tag zubereitete, eine Arbeit war, die größere Anstrengungen erforderte als das, was die Geschwister leisten mussten. Es war das erste selbst verdiente Geld.
»Meine Schwester Parveen hatte zum Beispiel die Aufgabe, den Kühlschrank zu reinigen. Das tat sie, völlig unnötigerweise, jeden Tag. Außerdem gab sie die Schmutzwäsche an den
Dhobi
, den Wäscher, und kontrollierte, dass er eine Woche später diese Wäsche vollständig zurückbrachte«, erzählt meine Mutter.
Ihren Kindern haben Manzoor Ali Naqvi und Qamar Jehan selten etwas von sich, von ihrer Vergangenheit, ihren Gefühlen erzählt. Ohnehin war es bei zwölf Kindern schwierig, sich jedem einzelnen zu widmen. »Ich weiß nicht, ob sie je ausführlich mit uns über irgendetwas gesprochen haben«, sagt meine Mutter.
Ich habe meine Großeltern bei meinen Besuchen in Pakistan erlebt. Sie sind Ende der Neunziger gestorben. Beide haben ein hohes Alter erreicht – welches genau, ist bei ihnen ebenso unklar wie bei meinen Großeltern väterlicherseits.
Eine Wahrsagerin hatte Manzoor Ali Naqvi einmal gesagt, er würde seine Frau um fünfzehn Jahre überleben. Es kam so, aber doch anders als gedacht: Als er ein Jahr nach Qamar Jehan starb, war er etwa fünfzehn Jahre älter als seine Frau geworden.
Meine Großmutter war wie alle Omas. Sie kaufte mir Süßigkeiten, Obst, Spielzeug, vielleicht mehr als Omas ihren Enkelkindern
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