Gruenkohl und Curry
wollten.
Manche ihrer Freundinnen hatten inzwischen geheiratet und lebten nun weit weg, zum Teil in den USA. Obwohl immer noch viele Schulfreundinnen in ihrer Nähe waren und obwohl meine Mutter das Zusammensein mit ihren Geschwistern und ihrer großen Familie genoss, blieb sie unglücklich. Sie vermisste meinen Vater, der sich alle paar Wochen aus einem anderen Land meldete, und sie vermisste, was sie nie gedacht hätte, Hollern-Twielenfleth: das Paradies, wo es im Frühling an jeder Ecke weiß und rosa blühte, im Sommer nach Kirschen und Erdbeeren roch, im Herbst, wenn die Blätter gelb und braun und rot wurden, nach Äpfeln, und wo es im Winter schneite und die Luft so kalt und klar war, dass es nichts Besseres gab als einen Spaziergang an der Elbe und danach eine heiße Tasse Kakao. Wo die Menschen so freundlich zu ihr waren. Wo sie sich trotz ihrer Einsamkeit und trotz eines Lebens, das viel weniger komfortabel war als das in Karatschi, wohlfühlte, weil sie ihr Leben so leben konnte, wie sie wollte. Ach, Hollern-Twielenfleth! Wie gern wäre sie jetzt dort gewesen!
Erst jetzt wurde meiner Mutter bewusst, dass sie nicht in die USA ziehen wollte oder nach Großbritannien, auch nicht wirklich nach Deutschland, sondern nach Hollern-Twielenfleth.
Am 4. Februar 1977, ein halbes Jahr nach ihrer Rückkehr nach Karatschi, beantragte sie beim deutschen Generalkonsulat eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland. Als Ziel gab sie Bremen an, da dort die Hansa-Reederei ihren Sitz hatte. Nach sechs Wochen bangen Wartens erhielt sie die Antwort:
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß die zuständigen Behörden in Bremen Ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung erteilen. Das Generalkonsulat ist daher nicht in der Lage, Ihnen ein Visum auszustellen.«
Meine Mutter ließ sich nicht entmutigen. Drei Monate später beantragte sie erneut eine Aufenthaltsgenehmigung. Als Ziel nannte sie jetzt Hollern-Twielenfleth. Diesmal dauerte es nur vier Wochen, bis das Generalkonsulat antwortete. Wieder wurde ihr Antrag abgelehnt. Auch der Landkreis Stade weigerte sich, eine solche Genehmigung zu erteilen.
Wieder ließ meine Mutter nicht locker. Sie wollte weg aus Karatschi, und zwar nicht irgendwohin, sondern nach Hollern, ins Alte Land. Also stellte sie im Oktober einen dritten Antrag an das Generalkonsulat in Karatschi. Schließlich lenkte man ein, am 17. November bekam sie die Aufenthaltsgenehmigung in ihren Pass gestempelt.
»Mit Bedingung/Auflage versehen: gilt nur für Besuchszwecke; Kaution in Höhe von Rs. 10.000,– (DM ca. 2300,–) hinterlegt«
, schrieb ihr der Sachbearbeiter dazu, nachdem er das Geld kassiert hatte, mit dem zur Not auch ein Abschiebeflug hätte bezahlt werden können. Vier Monate, vom 25. November 1977 bis zum 24. März 1978, durfte meine Mutter sich in Deutschland aufhalten – für diese Genehmigung langte der deutsche Staat diesmal kräftiger als bisher zu: hundertsiebzig Mark.
Der Stader Beamte, der später unsere Ausweisung betrieb, beschrieb das Vorgehen meiner Mutter einmal so: Sie habe
»eine Aufenthaltserlaubnis in Form des Sichtvermerks zum Zwecke des Familiennachzuges beantragt. Da für fahrende Seeleute der Nachzug von Familienangehörigen grundsätzlich nicht gestattet
wird und zudem die Voraussetzungen für einen Familiennachzug im vorliegenden Falle nicht erfüllt waren, wurde die Zustimmung zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Form des Sichtvermerks von der Freien und Hansestadt Bremen sowie von mir verweigert. Nach mehrfacher Vorsprache des Ehemannes wurde aufgrund vorliegender besonderer Umstände aus humanitären Gründen die Einreise Frau Kazims für einen viermonatigen Besuchsaufenthalt gestattet«
. Der Beamte betonte, meine Eltern hätten ausdrücklich erklärt, dass es sich lediglich um einen Besuchsaufenthalt handele.
Meiner Mutter wurde ein viermonatiger Aufenthalt nur unter der Bedingung erlaubt, dass mein Vater ihre Ausreise zum vorgesehenen Termin garantierte. Dabei wollten meine Eltern überhaupt nicht zurück nach Pakistan, jedenfalls nicht schon nach vier Monaten. Dennoch unterschrieben sie. Jetzt ging es erst einmal darum, dass mein Vater meine Mutter wiedersah. Wenigstens für ein paar Tage, während sein Schiff in Bremen oder in Hamburg lag. Sie akzeptierten die Bedingungen, obwohl sie alles andere als einverstanden waren.
»Machen Sie sich mal keine Sorgen«, sagte der Mitarbeiter beim Generalkonsulat zu meiner Mutter. »Wenn Sie sich keiner
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