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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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dieser fürchterlichen Margret wie in einem Puff zuging«. Lobend erwähnte Werner Hoyser auch Marja van Doorn, er fand sogar
     ein gutes Wort für Bogakov, »obwohl der manchmal auch ein bißchen zuviel sang«. Nun, man sei eben letzten Endes dann doch
     ins richtige, ins christliche Fahrwasser geraten, sei zur Leistung, Verantwortlichkeit erzogen worden, habe studiert, er Jura,
     Kurt Volkswirtschaft, »während Großvater seine, man muß schon sagen, geniale Vermögenspolitik trieb, die es uns ermöglichte,
     unsere Kenntnisse sofort in eigenen Betrieben anzuwenden.«
    Es möge wohl sein, daß das Betreiben eines Wettbüros, das er lediglich nebenherlaufen lasse, als unseriös erscheine, in Wirklichkeit
     sei es sein Hobby, eine geschäftlich fundierte Unternehmung, seinem Spieltrieb zu huldigen. Doch letzten Endes müsse festgestellt
     werden, daß Tante Leni gefährlicher sei als seine Mutter, die er als »lediglich frustrierte Pseudosozialistin« bezeichnete,
     die kein Unheil anrichten könne. Tante Leni hingegen empfinde er als im wahrsten Sinne des Wortes reaktionär, es sei inhuman
     oder, um ein deutsches Wort zu gebrauchen, unmenschlich, wie sie instinktiv, hartnäckig, unartikuliert, aber konsequent sich
     weigere, jegliche Erscheinungsform des Profitdenkens nicht etwa ablehne, das setze ja Artikulation voraus, sondern einfach
     verweigere. Zerstörung und Selbstzerstörung gehe von ihr aus, es müsse dies ein Gruytensches Element sein, das auch ihrem
     Bruder, in noch stärkerem Maße ihrem Vater innegewohnt |426| habe. Er sei, sagte Werner Hoyser abschließend, kein Unmensch, er sei weltoffen, liberal bis zu den äußersten Grenzen, die
     seine Erziehung ihm gezeigt habe; er sei ein offener Anhänger der Pille, der Sex-Welle und betrachte sich dennoch als Christ,
     er sei, wenn man so wolle, ein »Lüftungsfanatiker«, und das sei es, was mit Tante Leni geschehen müsse, sie müsse gelüftet
     werden. Nicht er, sie sei ein Unmensch, denn ein gesundes Profit und Besitzstreben läge, und das sei von der Theologie nachgewiesen
     und werde sogar von marxistischen Philosophen immer mehr bejaht, in der Natur des Menschen. Schließlich, und das könne er
     ihr am wenigsten verzeihen, habe Leni einen Menschen auf dem Gewissen, den er nicht nur geliebt habe , den er bis auf den heutigen Tag liebe: Lev Borrisovič Gruyten, sein Patenkind, »das mir unter so dramatischen Umständen
     anvertraut wurde, ich betrachte das als einen Auftrag, mag ich auch vorübergehend diesen Auftrag etwas zynisch betrachtet
     haben, aber ich bin nun einmal sein Pate, und das ist nicht nur ein metaphysischer, nicht nur ein gesellschaftlich-religiöser, es ist auch ein
     rechtlicher Status, den ich wahrzunehmen gedenke.« Man habe es ihnen, seinem Bruder und ihm, als Haß ausgelegt, daß sie Lev
     »einiger, rechtlich allerdings zweifelhafter Dummheiten wegen« hätten anklagen, verurteilen und einsperren lassen, in Wirklichkeit
     sei dies ein Liebesakt gewesen, um ihn zur Vernunft zu bringen und ihm auszutreiben, was »schließlich als die Schlimmste aller
     Sünden gilt: seinen Stolz, seinen Hochmut«. Er habe durchaus Levs Vater noch in Erinnerung, als einen guten, feinsinnigen,
     stillen Menschen, und er sei sicher, daß auch jenem gewiß nicht daran gelegen habe, aus seinem Sohn werden zu lassen, was
     letzten Endes nach einigen Umwegen aus ihm geworden sei: ein Müllkutscher. Er wolle keineswegs bestreiten, daß der Müllabfuhr
     eine große Bedeutung und gesellschaftliche Funktion ersten Grades |427| zukomme, aber Lev, das sei unbestreitbar, sei zu »Höherem berufen«. (Die Anführungszeichen stammen vom Verf., der aus Werner
     Hoysers Worten nicht ganz genau heraushören konnte, ob er hier zitierte, rezitierte oder bloß ein Zitat in seine eigene Sprache
     übernommen hatte; es muß als ungeklärt gelten, ob die Anführungszeichen hier berechtigt sind. Sie sind lediglich als Vorschlag
     zu betrachten.)
    Man muß sich vorstellen, daß bis dahin fast drei Stunden, von vier bis sieben, vergangen waren. Es war so manches geschehen,
     so manches gesagt worden. Das Mehrzweckmädchen tauchte nicht mehr auf, der Tee in der Thermosflasche war bitter geworden,
     so sehr war er kondensiert; das Käsegebäck hatte in dem letzten Endes doch ein wenig überheizten Raum seine Frische verloren
     und war ledern geworden, und obwohl Werner Hoyser sich als Lüfter bezeichnete, machte er keine Anstalten, dem durch vielfältigen
     Tabaksqualm

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